Am Freitagabend fällt in Paris der Startschuss. Dann werden die 33. Olympischen Sommerspiele mit einer großen prachtvollen Zeremonie eröffnet. Athleten aus der ganzen Welt haben lange auf das Ereignis hingearbeitet und viel trainiert. Nun wird es für sie ernst, endlich beginnen die Wettkämpfe.
Eigentlich sollte dies auch für mich als ehemaligen Teilnehmer an zwei Olympischen Sommerspielen ein Moment der Freude sein – denn hinter der olympischen Idee stehen so wichtige Gedanken wie Toleranz und gegenseitiger Respekt. Doch was wir seit einigen Wochen hören, gibt mir eher Anlass zur Sorge und legt sich wie eine dunkle Wolke über meine Vorfreude. Immer wieder wird zu einem Boykott Israels beim größten Sportevent der Welt aufgerufen, oder man fordert, der jüdische Staat solle zumindest von der Eröffnungszeremonie ausgeschlossen werden.
Massiv an Leib und Leben bedroht
Doch nicht nur das. Israelische Athleten werden massiv an Leib und Leben bedroht. Seit Tagen erhalten sie Mails, in denen eine Wiederholung des Münchner Olympia-Massakers von 1972 angekündigt wird. Für mich, der diesem fürchterlichen Anschlag gerade noch entkam und erleben musste, welche Grausamkeit meinen Teamkameraden widerfuhr, sind dies Momente voller Schmerz.
Wieder einmal versuchen verschiedene Gruppen, die Sommerspiele als Bühne für ihre politische Agenda zu missbrauchen, auch mit Gewalt. Was mir allergrößte Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass ihnen dazu heute im Vergleich zu 1972 auch neue Technologien zur Verfügung stehen, mit denen sie relativ einfach zuschlagen könnten, beispielsweise mit Drohnen.
Selbstverständlich werde ich mir trotzdem einige Wettkämpfe zu Hause im Fernsehen anschauen, allen voran in der Leichtathletik, in der ich selbst 1968 in Mexiko-Stadt und 1972 in München antrat. Ich werde auch die Eröffnungszeremonie mitverfolgen – und hoffe, dass man dabei an die elf israelischen Sportler erinnert, die 1972 ermordet wurden.
Es wäre traurig, wenn die Organisatoren das Gedenken ausklammern oder irgendwo versteckt im Hintergrund stattfinden lassen würden. Aus diesem Grund halte ich es für so wichtig, dass Israels Staatspräsident Isaac Herzog trotz der Proteste am Freitag zur Eröffnungszeremonie nach Paris reist, um an die Opfer von 1972 zu erinnern.
Es ist wichtig, dass Israels Präsident trotz der Proteste zur Eröffnung nach Paris reist.
Vieles von dem, was man derzeit liest, sieht und hört, ist ein klarer Verstoß gegen den Geist der Olympischen Spiele, wie sie Pierre de Coubertin, der »Wiederentdecker« dieser Wettkämpfe aus der Zeit der Antike, einst formuliert hat: die Grundgedanken von Toleranz, Verständigung und der internationalen Begegnung. Es ist doch absurd und fast schon eine Umkehrung der olympischen Werte, wenn heute ausgerechnet in Coubertins Geburtsstadt Paris, dem Austragungsort der diesjährigen Sommerspiele, einige französische Politiker erklären, israelische Athleten seien unerwünscht und man müsse gegen eine Teilnahme Israels mobilisieren.
Ich selbst bin Träger der Pierre-de-Coubertin-Medaille, was mich mit Stolz erfüllt. Ich fordere deshalb die Politik auf, einzuschreiten, wenn olympische Werte so offen und eklatant verletzt werden wie jetzt in Paris.
In der Antike gab es während der Zeit der Wettkämpfe so etwas wie den Olympischen Frieden. Und das soll heute, wenn Israel im Spiel ist, alles nicht mehr gelten?
Allen Anfeindungen und Widerständen trotzen
Gerade nach den Ereignissen von 1972 hätte ich mir so etwas selbst in meinen schlimmsten Albträumen niemals vorstellen können. Vor diesem Hintergrund ist es wichtiger denn je, dass Israelis trotz aller Anfeindungen und Widerstände an den Sommerspielen teilnehmen.
Man hört manchmal vom Boykott einzelner Athleten, die in Wettkämpfen nicht gegen Israelis antreten wollen. Als Reaktion auf ein derart unsportliches und dem olympischen Geist widersprechendes Verhalten plädiere ich dafür, diese Person von dem Event auszuschließen und ihr gesamtes Team zu sanktionieren.
Mir persönlich ist ein solcher Boykott in meiner sportlichen Laufbahn nie begegnet. Ich erinnere mich aber daran, dass sich arabische Sportler 1968 bei den Sommerspielen in Mexiko von mir abwandten, nachdem wir Athleten – wie damals üblich – Anstecknadeln mit Landesflaggen oder Ähnlichem ausgetauscht hatten und sie mitbekamen, dass ich Israeli bin.
Als Schoa-Überlebender sage ich, dass man damals, im Holocaust, versucht hat, uns von der Erde zu tilgen. Unsere blau-weiße Flagge ist der Beweis dafür, dass unseren Verfolgern genau dies nicht gelungen ist. Sie jetzt bei den Olympischen Sommerspielen zu zeigen ist auch deshalb so wichtig, weil die Hamas am 7. Oktober ebenfalls einen Versuch unternahm, so viele Juden wie möglich zu ermorden. Aber wir existieren immer noch! Das müssen wir auch in Paris zeigen.
Mein Rat an die israelischen Athleten: Seid stolz und zeigt, dass ihr die Besten sein könnt. Gebt alles! Denn in Paris repräsentiert ihr nicht nur den Staat Israel, sondern alle Juden der Welt.
Der Autor ist 88 Jahre alt und lebt in Israel. Er hat die Schoa sowie das Münchner Olympia-Attentat 1972 überlebt und hält den Weltrekord im Gehen.