Es hat zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus bedeutende Reden im Bundestag gegeben. Elie Wiesel, Simone Veil, Arno Lustiger, Imre Kertész, Zoni Weisz, Marcel Reich-Ranicki und Inge Deutschkron sprachen als Überlebende des Völkermords. Sie wussten, wovon sie redeten.
Zeitzeugen leben immer noch. Marian Turski etwa, einer der letzten Überlebenden von Auschwitz. Doch der 88-Jährige saß dieses Jahr nur als Zuhörer auf der Tribüne des Parlaments. Die Rede zum 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz hielt Bun- despräsident Joachim Gauck.
gräueltaten Nichts, was das deutsche Staatsoberhaupt an diesem Vormittag in dieser offiziellen Feierstunde sagte, war a priori falsch. Gauck benannte die Schoa als deutsches Verbrechen. Er sprach den Antisemitismus vor der Schoa ebenso an wie die Verdrängung und Verleugnung danach sowohl in der Bundesrepublik wie in der DDR.
Er wandte sich gegen eine »Schlussstrich«-Mentalität, unterstrich, wie wichtig das Gedenken auch für künftige Generationen ist, auch und gerade für Bundesbürger nichtdeutscher Herkunft. Er appellierte an Toleranz und Solidarität für Flüchtlinge und Fremde, geißelte Ausgrenzung, forderte, die Augen nicht vor gegenwärtigen Gräueltaten wie in Syrien und Irak zu verschließen. Wer würde Gauck da widersprechen wollen?
Nur die Essenz dessen, wofür Auschwitz steht, hat der Bundespräsident nicht begriffen. »Das haben Menschen Menschen angetan«, zitierte er die polnische Schriftstellerin Zofia Nalkowska. Nein, eben nicht! Die übergroße Mehrzahl derer, die in Auschwitz und anderswo starben, wurden nicht als Menschen im Allgemeinen, sondern als Juden im Besonderen ermordet.
Hass Das war der Kern der nationalsozialistischen Weltanschauung. Die Schoa war nicht der Höhepunkt einer generellen Inhumanität. In ihr kulminierte ein ganz spezifischer Hass. Und dieser Hass hat mit Auschwitz nicht aufgehört. Auf deutschen Straßen wurde im vergangenen Sommer »Juden ins Gas!« gebrüllt. Vor wenigen Wochen sind in Paris wieder Juden gezielt als Juden umgebracht worden. Doch davon war beim Bundespräsidenten nicht die Rede.
»Das Ganze ist das Unwahre«: Adornos Diktum passt auf diese Rede. Oder um einen Begriff zu nutzen, den der evangelische Theologe Gauck kennen wird: Sie war eine Sünde durch Unterlassung.