In Brüssel tagt diese Woche zum ersten Mal eine Antisemitismus-Arbeitsgruppe. Worum geht es bei dem Treffen konkret?
Im Dezember 2018 fasste der EU-Ministerrat einen einstimmigen Beschluss, der deutlich macht: Europa steht auf der Seite seiner jüdischen Bevölkerung. Alle EU-Staaten verpflichteten sich zu konkreten Schritten. Eine Absichtserklärung alleine bringt aber wenig. Deswegen hat Kommissarin Vera Jourová vorgeschlagen, die Betroffenen an einen Tisch zu holen, sodass alle EU-Mitgliedstaaten bis Ende 2020 Strategien erarbeiten, die vor Ort auch umgesetzt werden können.
Wie setzt sich das Gremium zusammen?
In der Arbeitsgruppe sitzen aus jedem Land ein Vertreter der jüdischen Gemeinde und zwei der Regierungsseite. Bei der ersten Sitzung geht es um das Thema Sicherheit, welches sowohl für die jüdischen Vertreter als auch die Mitgliedstaaten von zentraler Bedeutung ist. Im Dezember steht dann der Bereich Bildung auf der Tagesordnung.
Was plant die Europäische Kommission, um die Lage der Juden zu verbessern?
Zunächst einmal geht es nicht darum, dass wir etwas von oben herab verordnen können oder wollen. Dafür hat die EU keine Zuständigkeit. Jedes EU-Land hat unterschiedliche Schwerpunkte und politische Strukturen. Für uns ist wichtig, Anstöße zu geben und dafür zu sorgen, dass die Mitgliedstaaten das dann in Eigenregie vorantreiben. Darüber hinaus stehen in verschiedenen Programmen EU-Fördermittel für zivilgesellschaftliche Projekte zur Verfügung, zum Beispiel im Bereich der Forschung und Erinnerung an die Schoa oder für die Pflege jüdischer Friedhöfe.
Erinnerung ist wichtig, was ist mit Zukunft?
Wir unterstützen zum Beispiel aktiv jüdische Studierendenverbände. Anfang Juli veröffentlichen wir eine Umfrage, die die Sicht jüdischer Jugendlicher auf Antisemitismus aufzeigen wird. Wir kümmern uns auch um Sicherheit im öffentlichen Raum oder den Kampf gegen Hass und Hetze im Netz. Dank des EU-Verhaltenskodex von 2016 werden dort nun zwei Drittel der gemeldeten Hassrede gelöscht, Tendenz steigend. Die jüngste Umfrage der EU-Grundrechteagentur hat klar gezeigt: Viele jüdische Europäer haben Angst, sitzen gar auf gepackten Koffern. Die Europäische Union stellt sich dieser Herausforderung und ist entschlossen, die Situation spürbar zu verbessern.
Sie sind seit Ende 2015 EU-Antisemitismusbeauftragte. Was hat sich seitdem getan?
Das Thema ist jetzt endlich dort, wo es hingehört, nämlich ganz oben auf der politischen Agenda. Wir haben erreicht, dass die IHRA-Definition, die alle Formen des modernen Antisemitismus aufzeigt, weitgehend akzeptiert wird, was nicht einfach war. Das Problem – der grassierende Antisemitismus in Europa – ist erkannt, erste Maßnahmen sind beschlossen. Die Vogel-Strauß-Politik ist Vergangenheit.
Mit der Antisemitismusbeauftragten der Europäischen Kommission sprach Michael Thaidigsmann.