Das Ergebnis von Israels Knessetwahl lässt sich so zusammenfassen: Die Rechte hat ihre Mehrheit verloren, die Wähler haben die Mitte gestärkt, linke und bürgerliche Parteien sind jetzt gleich stark wie die rechten Parteien, und der Rechtstrend vergangener Jahre wurde gestoppt.
Doch auch diese Lesart ist möglich: Das Wahlergebnis ist ein Misstrauensvotum gegen den bisherigen Premier Benjamin »Bibi« Netanjahu. Gleichwohl bleibt er aussichtsreichster Kandidat für die Bildung der nächsten Regierung. »Wir wollen eine möglichst breite Koalitionsregierung«, erklärte Bibi noch am Dienstagabend nach der Wahl. Dabei wird er nicht darum herumkommen, den ehemaligen Fernsehjournalisten Yair Lapid als Juniorpartner zu berücksichtigen.
koalitionsverhandlungen Lapid, dessen zur Mitte zählende Zukunftspartei es bei ihrem ersten Versuch gleich auf den zweiten Platz schaffte, hat nun genügend Macht, um bei Koalitionsverhandlungen Bedingungen zu stellen. Die zur Mitte zählende Zukunftspartei könnte von Netanjahu sogar das Rotationsprinzip einfordern – das ist eine Einschätzung, die man in Jerusalem öfter zu hören bekommt. Es hieße: Lapid könnte Netanjahu nach zwei Jahren als Regierungschef ablösen und in den ersten Jahren Außenminister sein.
Zur Wahl waren 32 Parteien angetreten. Ein »Spiegelbild der Heterogenität der israelischen Gesellschaft« nennt dies Tamar Hermann, Politologin von der Open University of Israel. Dem Vorteil, dass dadurch viele Bevölkerungsschichten im Parlament vertreten sind, steht der Nachteil gegenüber, dass kleine Parteien in der Regierung versuchen können, der Koalition ihren Willen aufzuzwingen oder mit einem Austritt aus dem Bündnis zu drohen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden.
erste gespräche Offiziell haben die Koalitionsverhandlungen zwar noch nicht begonnen. Aber in ersten Kontakten und Gesprächen werden bereits die Möglichkeiten abgetastet. Staatspräsident Schimon Peres wird den Auftrag zur Regierungsbildung demjenigen erteilen, der die besten Aussichten auf Erfolg hat, sobald die definitiven Resultate des Wahlgangs vorliegen. Zwar könnte Peres auch Lapid eine Chance geben, wahrscheinlicher ist es aber, dass der Auftrag zur Regierungsbildung an Benjamin Netanjahu geht.
So oder so: Die Verhandlungen dürften sich in die Länge ziehen. Dabei stehen eine Reihe von Problemen und Fragen auf der politischen Agenda: In der Außenpolitik sollte Israel auf einen Friedensplan reagieren, der von der Europäischen Union und Russland im Dezember präsentiert wurde. Dringend steht auch an, das ramponierte Verhältnis zu US-Präsident Barack Obama zu verbessern, will Israel keine internationale Isolation riskieren. Und immer noch steht die Entscheidung an, wie sich Israel gegen das iranische Nuklearprogramm wehrt – begnügt es sich mit internationalen Sanktionen oder setzt es auf eigene militärische Mittel?
sachthemen Da die wichtigsten Parteien – auch Netanjahus Likud-Beitenu-Bündnis – diesbezüglich kein Programm vorgelegt haben, lässt sich nicht voraussagen, wie die Politik der Regierung aussehen wird. Im Wahlkampf wurden kaum Sachthemen diskutiert, die großen Themen wie Westjordanland oder iranisches Atomprogramm waren außen vor. Streitpunkte der Mitte-Links-Parteien waren Fragen wie die, ob sie einer Koalitionsregierung mit orthodoxen und ultrarechten Parteien unter der Führung von Netanjahu beitreten würden oder nicht. Mit Ausnahme der Arbeitspartei, deren Vorsitzende Schelly Jachimowitsch selbst ins Büro des Premierministers einziehen möchte, sind die wichtigsten potenziellen Koalitionspartner bereit, Minister zu stellen.
Wirtschaftspolitisch muss sich Israel demnächst eine Diät verpassen lassen – egal wie die nächste Koalition aussieht. Erst kurz vor den Wahlen wurde bekannt, dass das bisherige Kabinett das Budget in den Bereichen Verteidigung, Erziehung und Infrastruktur massiv überschritten hatte. Zudem waren die Einnahmen schlechter als erwartet.
Die Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, die jetzt anstehen, waren im Herbst von Netanjahu als Grund angeführt worden, um die Wahlen vorzuziehen. Ob er mit der neuen Koalition einen stabilen Haushalt verabschieden kann, wird sich erst noch zeigen müssen.