Essay

Frieden ist möglich

Als junger Mann war unser Gastautor Ahmad Mansour Islamist. Heute glaubt er an eine Aussöhnung in Nahost. Zugleich ist er überzeugt: Die Pro-Palästina-Bewegungen im Westen sind ein Hindernis auf dem Weg dorthin

von Ahmad Mansour  19.12.2024 10:57 Uhr Aktualisiert

Psychologe und Autor Ahmad Mansour Foto: Gregor Matthias Zielke

Als junger Mann war unser Gastautor Ahmad Mansour Islamist. Heute glaubt er an eine Aussöhnung in Nahost. Zugleich ist er überzeugt: Die Pro-Palästina-Bewegungen im Westen sind ein Hindernis auf dem Weg dorthin

von Ahmad Mansour  19.12.2024 10:57 Uhr Aktualisiert

Ich bin Palästinenser, israelischer Araber. Und ich staune über die tausenden von Linken und anderen an Unis in Europa oder Amerika, die Leuten wie mir das Land meiner Herkunft erklären wollen.

Mein Großvater kämpfte 1948 im Unabhängigkeitskrieg – auf der Seite
irakischer Soldaten, gegen Israel. Mein Vater, geboren 1946, wuchs in einer Welt auf, die von Flucht und Trauma geprägt war. Vor dem Krieg von 1948 zwischen arabischen Nachbarn und Israel machte mein Onkel sein Abitur in Tulkarem im Westjordanland. Nach der Gründung Israels durfte er nicht in sein Heimatdorf zurückkehren. Er wanderte in die USA aus und kam erst 1982 mit einem Touristenvisum zurück, ein Visum, das er jährlich verlängern musste, um bleiben zu dürfen.

Der Bruder meiner Großmutter floh 1948 nach Jordanien. Jahrzehntelang konnten die Geschwister einander nicht sehen. Einige aus unserer Familie ließen sich in der Westbank nieder, die konnte man ab und zu besuchen. Viele Wunden blieben, bei vielen von uns. Israels Staatsgründung bedeutete für meine Familie den Verlust von Land, Besitz, Zusammenhalt.

Alles drehte sich um den Kampf gegen Israel

Meine erste Lebenserinnerung? Eine Versammlung meiner Familie vor dem Fernseher, 1982. Ich war sechs. Es liefen Bilder des Massakers von Sabra und Shatila. Ich sehe noch die Tränen in den Augen meiner Mutter und die Wut auf den Gesichtern der Männer. Diese Emotionen haben mich geprägt.

Am »Tag des Bodens«, jedes Jahr am 30. März, gingen wir auf die Straße. Es war unser Ritual, um an die Landverluste zu erinnern. Ich habe als junger Mensch kaum eine Demonstration verpasst, wenn es um Palästina ging. Ich wurde Islamist und hörte andächtig die Kampflieder
der Hamas und der Muslimbruderschaft. Es drehte sich immer um die Befreiung Palästinas, um den Kampf gegen Israel, gegen Juden.

Ich hasste Israelis, ich hasste Juden. Mein Traum war, dass der Staat Israel verschwindet.

Als Kind war ich oft in Gaza. Unsere Einkäufe erledigten wir samstags in der Westbank. Der Konflikt war nicht nur Teil meines Lebens – er war Teil meiner Identität, meiner Familie, meiner Biografie.

In meiner Jugend suchte ich den Konflikt – buchstäblich. Jeden Donnerstagabend fuhr ich nach Jerusalem, um in der Al-Aqsa-Moschee zu übernachten, zu beten, und um Israels Soldaten und Polizisten zu provozieren. Ich hasste Israelis, ich hasste Juden. Mein politischer Traum war, dass der Staat Israel verschwindet. Egal, was in unserem Leben nicht gut lief: Schuld waren immer »Israel und die Juden!«. Immer.

Der Terror kam immer näher

Als Israeli habe ich die Oslo-Abkommen gefeiert. Die Rückkehr von Arafat, die Entstehung der palästinensischen Autonomiebehörde – all das schien ein neues Kapitel in unserer Geschichte zu eröffnen. Wir sahen Hoffnung im Friedensabkommen mit Jordanien, im Rückzug aus dem Süden des Libanon im Jahr 2000, im Abbau der Siedlungen in Gaza im Jahr 2005. Als Premierminister Yitzhak Rabin auf einer Friedenskundgebung von einem radikalen jüdischen Studenten ermordet wurde, weinten wir. Es war nicht nur der Verlust eines Mannes, sondern der Verlust eines Traums.

Doch die Realität holte uns ein. Die zweite Intifada habe ich nicht im Fernsehen verfolgt – ich habe sie im echten Leben erlebt. Die Unruhen im Oktober 2000 erreichten die arabischen Orte in Israel, und 13 arabische Israelis wurden durch Polizeigewalt getötet. Über drei Jahre lang erlebten wir täglich Anschläge. Busse explodierten, und Selbstmordattentäter zerstörten die Orte, die meine Jugend geprägt hatten. Der Terror kam immer näher, bis er schließlich meine Nachbarschaft erreichte.

Am Ende blieb mir nur eine Wahl: Ich musste gehen.

Es geht nicht um pro-israelisch oder pro-palästinensisch

Und ich habe Islamismus und Judenhass überwunden. Ich habe studiert, mich mit der Geschichte der Shoah befasst, jüdische Freunde gefunden. Mir ist klar, dass islamistischer Hass nicht »revolutionär« ist, dass nicht Terror Befreiung bedeutet, sondern Demokratisierung. Wenn es heißt: »Befreit Gaza!« ergänze ich: »von der Hamas!« und staune über die Leute, die mitten in der liberalen Demokratie an mörderische Terrorgruppen glauben wollen.

Die Pro-Palästina-Bewegungen verhindern das Umdenken, das mein Volk dringend braucht.

Jetzt, wo jeder seine Meinung dazu abgibt, möchte ich eines klarstellen: Mir geht es nicht darum, pro-israelisch oder pro-palästinensisch zu sein. Es geht um eine Vision: eine Vision des Zusammenlebens, der guten Nachbarschaft, des Friedens. Und das sage ich als Palästinenser – ein Frieden, der nicht durch die Hamas, nicht durch Terror, Raketenangriffe oder Antisemitismus an Universitäten entstehen wird. Dieser Frieden kann nur gelingen, wenn wir, Israelis und Palästinenser, aufeinander zugehen, Empathie füreinander entwickeln und neue Wege einschlagen.

Die Wege, die die palästinensische Führung und Gesellschaft in den letzten Jahren gegangen sind, halte ich für falsch und zerstörerisch. Es gibt einen anderen Weg – es muss einen anderen Weg geben. Doch genau hier sehe ich ein großes Hindernis: die Pro-Palästina-Bewegungen im Westen. Sie leisten meiner Meinung nach keinen nennenswerten Beitrag zum Frieden. Im Gegenteil: Sie verhindern das Umdenken, das mein Volk dringend braucht. Sie nähren Narrative, die uns in der Opferrolle festhalten, anstatt Verantwortung zu übernehmen und nach Lösungen zu suchen, die wirklich etwas verändern.

Der Autor ist deutsch-israelischer Psychologe und lebt in Berlin.

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