Setzen Sie sich! Please take your seats!» Die Ermahnungen der Veranstalter an 300 Jugendliche – Israelis und Deutsche – nützen so gut wie gar nicht. Immer wieder stehen die jungen Leute trotzdem auf, versperren den Kameramännern die Sicht und zücken ihre Handys, um Reuven Rivlin und Joachim Gauck selbst zu filmen – am Montagnachmittag bei der Stippvisite der beiden Staatsoberhäupter in der Kalkscheune in Berlin-Mitte.
Dort haben sich seit Freitagabend 300 junge Menschen aus Deutschland und Israel zum 60-jährigen Jubiläum des deutsch-israelischen Jugendaustauschs versammelt. Während Gauck eine eher präsidiale Kurzansprache hält, gibt sich Rivlin betont jovial: «Nett, dass Sie sich um ältere Mitbürger kümmern», ruft der 75-Jährige unter großem Jubel. Und Bundesjugendministerin Manuela Schwesig (SPD) erinnert daran, dass sich schon über 600.000 junge Frauen und Männer aus beiden Ländern bei Austauschprogrammen kennengelernt haben.
Urkunde Mitten im Gedränge, leicht verschüchtert vom Massenauflauf und dem Medienhype, stehen drei junge Israelinnen: die jüdische Sozialarbeiterin Gaya (28) aus Beer Sheva, Siwar (20) aus Kfar Rama und Munia (20) aus Kfar Imrar – beides drusische Dörfer im Norden Israels. Gerade hat Ministerin Schwesig den drei Frauen eine Urkunde überreicht: Gaya, Siwar und Mu-nia sind die ersten Israelis, die im Rahmen eines neuen Deutsch-Israelischen Freiwilligendienstes aus Israel nach Deutschland kommen, um in sozialen, kulturellen und sportlichen Institutionen tätig zu werden.
Koordiniert wird das neue Programm von der ZWST, der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. Gaya soll Kindern in einer Schule beim Hebräischlernen helfen, während Siwar und Munia im Altersheim arbeiten wollen. Die beiden Drusinnen haben bereits in Israel ein soziales Jahr absolviert. Schon seit Jahrzehnten sind Freiwillige aus Deutschland im Kibbuz, in Altersheimen oder sozialen Projekten in Israel im Einsatz. Umgekehrt kommen aber kaum Israelis als Freiwillige nach Deutschland. Mit dem neuen Programm soll sich das langsam ändern: Im Jahr 2015/16 werden etwa 25 bis 40 «Incomerinnen und Incomer», wie sie offiziell genannt werden, in Deutschland ihren Dienst aufnehmen.
Motto Der Jugendkongress unter dem Motto «Den Austausch feiern» vom 8. bis 11. Mai war die zentrale Veranstaltung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu 50 Jahren diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel. Die etwa 300 Jugendlichen und jungen Erwachsenen waren je zur Hälfte Israelis und Deutsche – Juden und Nichtjuden. Das ganze Wochenende platzte der große Saal der Kalkscheune geradezu vor Leben.
Einst war dieses Viertel von Berlin-Mitte das Zentrum des jüdischen Lebens Deutschlands. Fast drängte sich der Eindruck auf, als hätten sich die jungen Leute hier eingefunden, um Hitler und den Nazis den Stinkefinger zu zeigen, so normal gingen sie miteinander um. Alle Teilnehmer zwischen 18 und 25 Jahren brachten Vorerfahrungen aus Freiwilligendiensten oder dem Jugendaustausch mit und haben das jeweils andere Land schon besucht. Bei Diskussionen, Workshops und Stadterkundungstouren wurde der eigene Umgang mit der Geschichte im Alltag beleuchtet.
Zwei der Teilnehmerinnen waren Ziv Chen und Lisa Klein. «Beide Seiten teilen ein gemeinsames Dilemma», sagte Ziv mit Blick auf die Schoa. Die 22-Jährige kommt aus Rischon LeZion. Sie war bereits 2011 mit einer Pfadfindergruppe aus Israel in Deutschland. Die Berlinerin Lisa engagiert sich ebenfalls bei den Pfadfindern. Auch heute noch sei die Schoa das wichtigste Element im deutsch-jüdischen Verhältnis, meinte die Abiturientin. Es sei aber zusätzlich wichtig, über andere Themen zu sprechen. Doch dazu müsse man sich zunächst gemeinsam mit der Vergangenheit beschäftigen. «Sie ist das Fundament», sagt Lisa.