Terror

Freiheit verteidigen

Nach dem Anschlag: starker Polizeischutz vor dem Wiener Stadttempel Foto: imago images/photonews.at

Hat der Islam ein Problem? Und haben wir im Westen ein Problem mit dem Islam? Solche Fragen werden seit Jahren heiß diskutiert. Durch die Gewaltverbrechen, die jüngst wieder von islamistischen Fanatikern in Österreich und Frankreich begangen wurden, sind sie wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte gerückt.

Als vor 15 Jahren in einer dänischen Tageszeitung Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlicht wurden, kam es zu einer Serie von abscheulichen Morden. Befeuert wurde die Empörung damals wie heute von unverantwortlichen Führern in der islamischen Welt. Jüngster Auslöser der Kontroverse war der Mord an Samuel Paty, einem Lehrer in Frankreich. Er hatte die Mohammed-Karikaturen im Unterricht durchgenommen – als Anschauungsbeispiel für freie Meinungsäußerung.

wien In Wien tötete ein Islamist am Montag mindestens vier Menschen und verletzte viele weitere. In Nizza schlug vergangene Woche ein radikalisierter Tunesier zu, tötete drei Menschen in einer Kirche. Dieser Tat vorausgegangen waren Boykott­aufrufe gegen französische Waren in der islamischen Welt.

Mehr Tote und weitere Anschläge sind zu erwarten.

Der türkische Staatschef Erdogan hatte gegen Frankreichs Präsidenten Macron gewütet und ihn als Verrückten hingestellt. Und auf Twitter ließ sich Malaysias früherer Premierminister, der 95-jährige Mahathir Mohamad, zu der Aussage hinreißen, wenn Muslime nun Franzosen töteten, hätten sie wegen der französischen Kolonialgeschichte ein Recht dazu. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Auch wenn wir nicht wissen, was die Gewalttaten im Einzelnen ausgelöst hat: Die im wahrsten Sinne des Wortes gewaltigen Auswirkungen solch törichter Sätze kann man schon jetzt sehen. Schlimmer noch: Mehr Tote und weitere Anschläge sind zu erwarten.

macht Wenn politische Führer Menschen aufwiegeln, dann geht es ihnen meist nicht um die Sache, sondern um das Gewinnen von Macht und Deutungshoheit. Der Westen und vor allem Europa sollte ihnen nicht den Gefallen tun und das üble Spiel mitspielen.

Sich nicht provozieren zu lassen, fällt angesichts der Vorgänge in Österreich und Frankreich schwer. Und nein, Ruhe bewahren heißt nicht, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit dem eifernden Mob zu opfern oder gar stillschweigend die Mordtaten der Islamisten zu billigen, im Gegenteil. Es bedeutet, sich nicht irre machen zu lassen von Leuten, die selbst auf einem Irrweg sind.

Es wäre falsch, sich jetzt einen Kulturkampf aufzwingen zu lassen.

Macrons souveräne Reaktion auf die Provokationen aus Ankara war deshalb richtig – so schwer sie ihm auch gefallen sein mag. Europas Antwort auf den radikalen Islamismus liegt nicht in einem radikalen Laizismus, im Zurückdrängen einer oder aller Religionen aus dem Alltag oder im Schüren von Islamfeindlichkeit.

selbstvergewisserung Ressentiments besiegt man nicht, indem man selbst welche in die Welt setzt. Eine Gegenprovokation könnte der Selbstvergewisserung dienen, doch würde sie keinen einzigen Muslim überzeugen, sondern womöglich nur neue Gewalttaten auslösen. Wer kann das wollen?

Es ist offenkundig: Die islamische Welt hat ein Problem. Der Terrorismus ist auch und gerade ihr Problem. Nicht nur die Attentäter, auch viele ihrer Opfer sind Muslime. Wenn sich in einer solchen Situation die politische Führung im Ton vergreift, fühlen sich Eiferer bestätigt. Es entsteht eine »Wir gegen sie«-Stimmung, eine unheilvolle Polarisierung.

Es wäre zudem falsch, Muslimen zu unterstellen, sie seien qua Religionszugehörigkeit Fanatiker. Man darf nicht verkennen, dass die Dialogbereitschaft bei vielen Verantwortlichen gerade in der arabischen Welt in den vergangenen Jahren gestiegen ist, und das Problembewusstsein auch. In einer solchen Situation sollte man nicht Wasser auf die Mühlen der Extremisten spülen.

karikaturen Für die meisten Europäer erscheinen die Mohammed-Karikaturen als Lappalie, doch viele Muslime empfinden sie als verletzend und entwürdigend. Man muss diese Meinung nicht teilen, man sollte sie aber wenigstens zur Kenntnis nehmen. Im Übrigen haben auch wir Juden es in den letzten Jahren mit beleidigenden, ja, antisemitischen Karikaturen zu tun gehabt und bei anderen um Verständnis für unsere Gefühle gebeten. Die Wertschätzung, die wir anderen entgegenbringen, auch wenn wir ihre Ansichten nicht teilen, sind ein Gradmesser dafür, wie ernst wir sie nehmen.

Niemand hat das Recht, zu töten. Wer es dennoch tut, muss hart bestraft werden.

Niemand hat das Recht, zu töten. Wer es dennoch tut, muss hart bestraft werden. Salafisten, die in einigen Gegenden Frankreichs Angst und Schrecken verbreiten, muss genauso das Handwerk gelegt werden wie Rechtsextremisten oder militanten Linken.

Der Kampf gegen den Terrorismus erfordert die Einigkeit aller Akteure, auch in der islamischen Welt. Es gibt kein Recht auf Terror und auch keines auf Verhetzung, weder online noch offline. Daher wäre es falsch, wenn sich Europa jetzt von daran interessierten Kreisen einen Kulturkampf aufzwingen ließe oder ihn selbst befeuerte.

motto »When they go low, we go high«, sagte Michelle Obama 2016. Dieses Motto passt auch hier, und es hat nichts mit Defätismus oder der Aufgabe westlicher Werte zu tun. In der aktuellen Krise ist es schlicht das klügste Vorgehen.

Der Westen darf den Agitatoren nicht in die Falle gehen. Er muss sich ihrem zynischen Spiel konsequent verweigern. Das erfordert eine präzise Sprache in der Problembeschreibung und auch einen respektvollen Umgang mit Andersdenkenden. Zugleich muss Europa eine Antwort auf die Bedrohung durch den islamistischen Terror geben. Das geht nur mit den Muslimen, nicht gegen sie.

Der Autor ist Geschäftsführer des Jüdischen Weltkongresses (WJC).

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