Wie jeden Morgen eilt Ines Schreiber über den Strehlaer Markplatz und grüßt mit sanfter Stimme ihre Nachbarn quer über das Kopfsteinpflaster. »Guten Morgen, Frau B.«, sagt sie oder: »Hallo, Frau R.« Die anderen grüßen zurück, verdutzt zwar ob dieser betonten Ansprache, aber auch recht freundlich. Irgendjemand hat Ines Schreiber beige- bracht, dass der Name eines Menschen das liebste Wort ist, das er hört. So etwas lernen Versicherungsvertreter. Und Rechtsextremisten, die eine Ideologie verkaufen wollen.
Seit gut zwei Jahren lebt die 36-jährige Ines Schreiber hier, gleich am Markt der Kleinstadt bei Riesa im Landkreis Meißen, einer NPD-Hochburg, mit ihren beiden Söhnen und ihrem Mann. Peter Schreiber gehört zum engsten Kreis um Holger Apfel, dem Chef der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Apfel ist zugleich Vorsitzender des Landesverbandes – dem poli- tisch schlagkräftigsten in ganz Deutschland. Viele in der NPD sagen, dass Apfel der wichtigste Mann in der Partei ist. Er hat es geschafft, die Rechtsextremisten 2004 mit dem Schwung der Hartz-IV-Proteste in den Landtag zu bugsieren. Und er ist verantwortlich für deren Wiedereinzug im vergangenen Jahr, ein bislang einmaliger Vorgang. In Sachsen haben ihre Stammwähler die NPD über die Fünfprozenthürde in das Parlament gehievt.
volksempfinden Für die übrige NPD war das Superwahljahr 2009 ein Jahr der Niederlagen. Auch deshalb proklamierte Apfel frühzeitig den »sächsischen Weg« – also die scheinbare Verbürgerlichung der Rechtsextremisten als Erfolgsmodell für die Gesamtpartei. Das Beispiel Ines Schreiber zeigt, wie dieser Weg aussehen kann.
Schreiber ist Schöffin am Amtsgericht in Riesa, genauer gesagt: Hilfsschöffin. Die werden gebraucht, wenn die Hauptschöffen verhindert sind. Einmal saß sie bei Gericht, es war ein Prozess wegen Diebstahls. Die NPD hatte bereits 2008 ihre Anhänger schriftlich dazu aufgerufen, sich als Schöffen zu bewerben, damit in den Strafprozessen »das gesunde Volksempfinden in die Urteile einfließt«, und um »ein höheres Strafmaß gegen kriminelle Ausländer und linksradikale Gewalttäter« durchzusetzen. Denn die Partei fordert unter anderem die Wiedereinführung der Todesstrafe, etwa für Kinderschänder. Dafür würde Ines Schreiber die Verfassung ändern, »wenn ich das Sagen hätte«.
Und sie will, dass ihre Partei das Sagen bekommt. Die NPD ist der parlamentarische Arm der rechtsextremen Bewegung in Deutschland, die sich zuallererst aus jungen, häufig gewaltbereiten Neonazis rekrutiert. Man will die Demokratie abschaffen und einen völkischen Staat errichten. Weil die NPD eine Partei ist, die gerade im Osten auf dem Land Erfolg hat, versucht sie, dort wichtige Institutionen zu unterwandern, um gesellschaftsfähig zu werden. Zuletzt wurde ein NPD-Kreisrat aus dem benachbarten Nordsachsen für seine langjährige Mitgliedschaft in der Freiwilligen Feuerwehr geehrt. Ein anderer kommt aus einem Bürgerforum gegen Hartz-IV. Und in Dresden gibt es eine NPD-Schöffin, eine pensionierte Kindergärtnerin.
Der Aufstieg der NPD in Sachsen begann vor zehn Jahren. Mit der Ansiedlung des parteieigenen »Deutsche Stimme«-Verlags in Riesa legte sie den Grundstein dafür. »Weil die Menschen hier besonders heimattreu und national sind«, wie Holger Apfel, der langjährige Chefredakteur der Parteizeitung, stets betont. Wie die Schreibers kam auch der gelernte Verlagskaufmann aus Bayern hierher. Als Missionar im Dienste der Partei. Schon vier Jahre später gelang der Sprung in den Landtag. Er lebt mit seiner Familie in Riesa, an den Wochenenden gehen die Apfels mit Familie Schreiber spazieren.
Die gelernte Krankenschwester Ines Schreiber war früher bei den rechtsradikalen Republikanern. »Bei denen bin ich aber ausgetreten, weil die mir zu lasch waren. Die haben sich nicht getraut, das, was sie eigentlich wollen, nach außen zu zeigen.« Da ist die NPD extremer, wenngleich sie ihre eigentlichen Ziele auch verschleiert. Deshalb lässt sie sich in Parlamente wählen. So wie einst die NSDAP, die 1933 den Reichstag über Wahlen geentert hat, um dann den Parlamentarismus abzuschaffen.
Nach diesem Muster hat Ines Schreiber sich als Schöffin beworben – nicht, weil der Rechtsstaat ihr am Herzen liegt, sondern weil sie ihn abschaffen will. »Die NPD versucht systematisch an solchen zivilgesellschaftlichen Institutionen anzudocken, um sich ein scheinbar bürgerliches Image zu verpassen«, erklärt ein Verfassungsschützer. Kein sächsischer NPD-Funktionär nennt diese Strategie beim Namen. Auch die freundliche Frau Schreiber sagt nur: »Zu Parteiinterna kann ich nichts sagen.«
Dafür redet sie über ihr Ehrenamt im Elternbeirat. Vor dem Backsteingebäude der Grundschule in der Lindenstraße steht sie nun, in einem farblosen knöchellangen Leinenkleid. Kinder spielen auf dem Schulhof mit dem üblichen Geschrei. »Ich bin eine Jungsmutti«, sagt sie stolz und grüßt wieder freundlich. »Guten Tag, Frau K.« Dann spricht Ines Schreiber davon, dass man Kinder richtig erziehen soll.
Sie lehnt sich an eine Linde und schwärmt von diesem »Mutterbaum«, der schon von den Germanen verehrt wurde. Alle sechs Wochen kommt sie mit den anderen Eltern zusammen, um Projekttage zu planen. »Was sollen wir denn gegen sie haben?«, fragt eine Mutter, die ihr Kind zur Schule bringt. Und Frau Schreibers Einsatz für die NPD – keine Bedenken, dass sie politischen Einfluss auf die Schule nimmt? Die Mutter denkt nach. »Das machen andere doch auch.«
etabliert Viele Menschen in Sachsen setzen die NPD mit den demokratischen Parteien gleich. Der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer spricht in diesem Zusammenhang von einem Normalisierungseffekt: »Überall dort, wo die NPD schon mal in ein Parlament eingezogen ist, normalisiert sich das Verhältnis der Bevölkerung zu dieser Partei«. Und Sachsen ist das einzige Bundesland, wo sie ihre Landtagsmandate verteidigen konnte. Hier ist sie etabliert. Mit jedem Amt, mit jeder öffentlichen Funktion zementiert sich dieser Zustand. Etwa, wenn Ines Schreiber mit dem Titel »Hilfsschöffin« für die NPD in die Wahlkämpfe zieht. Lokales Engagement wertet auf. Ihr Mann trat als Bundestagskandidat an, kam auf Anhieb auf fünf Prozent, in Strehla auf 8,3 Prozent. Präsenz wirkt.
»Ich habe jeden Tag seine Wurfzettel verteilt, mit dem Fahrrad oder zu Fuß«, sagt Ines Schreiber, »so kommt man mit den Leuten ins Gespräch«. Während die demokratischen Parteien ihre Werbung über Unternehmen verteilen lassen, demonstriert Ines Schreiber ihren ehrenamtlichen Einsatz. Auch deshalb, glaubt sie, sitze ihr Mann im Kreistag – und als Stadtrat im Rathaus von Strehla. Sie selbst hat im vergangenen Jahr noch einen Sitz verpasst. Aber immerhin hat der Rat sie dem Amtsgericht als Schöffin vorgeschlagen. »Wir für Euch« steht auf einem alten Wahlkampffaltblatt mit dem Porträt des Ehepaars. Dabei ruhen Ines’ Hände so auf Peters linker Schulter, dass der Betrachter den Ehering sieht. Das harmonische Bild hat mit dem Klischee gewaltbereiter Neonazis nichts gemein.
So feiert die rechtsextreme Partei auch auf kommunaler Ebene ihre Erfolge. Mehr als 100 Mandate hat die NPD in den Gemeinden Sachsens schon, und mit jeder Wahl werden es mehr. Neben der sozialen Akzeptanz sammelt sie so Sitzungsgeld: Rund 13 Millionen Euro stehen allein der Landtagsfraktion in der laufenden Legislaturperiode zu. Ein Kreistagsmandat wie das von Peter Schreiber bringt rund 2.000 Euro im Jahr. Nach Auskunft der Partei ist dieser Betrag gleich an den Kreisverband weiterzugeben, wenn der Abgeordnete ein Gehalt bezieht – wie Peter Schreiber von der NPD-Landtagsfraktion, also vom Freistaat Sachsen. Sechs Kreistagsmandate können einen lokalen Wahlkampf finanzieren. Und die NPD in Sachsen führt einen permanenten Wahlkampf – nicht nur über Plakate und Wurfzettel.
Katja Kohlschmid, seit einem Jahr Direktorin am Amtsgericht Oschatz im Nachbarlandkreis, erzählt, »dass sich unsere NPD-Funktionäre auch zu einzelnen Verhandlungen im Gerichtssaal zeigen – als Zuschauer«. Wenn es zum Beispiel um die Belange beliebter Vereine geht. Inzwischen ist die Richterin für das Thema NPD sensibilisiert. Vor allem wegen ihrer Erfahrungen in Riesa, wo sie vorher gearbeitet und auch die Schöffenwahl von Ines Schreiber geleitet hat.
Die Kommunen müssen Kandidaten vorschlagen, ein Schöffenwahlausschuss am Amtsgericht entscheidet. »Da muss man sich schon auf die Vorschläge aus den Gemeinden verlassen.« Den politischen Hintergrund von Frau Schreiber habe sie nicht gekannt, sagt Katja Kohlschmid. Und auch aus dem Stadtrat in Strehla verlautet es nun, man habe nicht gewusst, dass die Bewerberin aus dem NPD-Umfeld kommt.
Darüber muss Ines Schreiber lachen. Sie verweist darauf, dass sie sich nach der Schöffenausschreibung im »Strehlaer Tageblatt« ordentlich bei der Stadt beworben habe. »Die Vorschlagsliste der Schöffen lag doch über Wochen im Rathaus aus«, sagt sie. »aber niemand hat sich daran gestoßen.« Der neue Direktor des Riesaer Amtsgerichts, Herbert Zapf, zweifelt allerdings an ihrer Verfassungstreue. Deshalb hatte man geprüft, ob das Amtsgericht Ines Schreiber wieder von der Schöffenliste streichen, sie wieder loswerden könnte.
Man kann nicht, ist das Ergebnis der Prüfung. Die Demokratie muss ihre Feinde wohl erdulden. Die NPD ihrerseits reagierte überschwänglich, da war von einer »Genugtuung« die Rede, und von einer »schallenden Ohrfeige für alle, die eine volkstreue Schöffin aus dem Ehrenamt drängen wollten«. Die NPD wird wohl weiter den sächsischen Weg gehen.