Herr Hochhuth, was ändert sich mit dem neuen Beschneidungsgesetz?
Es bringt eine kleine Verbesserung. Die Beschneidung war von jeher zulässig. Auch das Kölner Fehlurteil hat die Rechtslage nicht verändert. Es hat aber viele Nichtjuristen verunsichert, und insofern tritt jetzt eine gewisse Beruhigung ein.
Bringt das Gesetz Rechtssicherheit?
Die Rechtssicherheit erhöht sich sozusagen von 99,9 auf 99,999 Prozent. Es gab sie auch bisher, denn das Landgericht Köln hat eindeutig verfassungswidrig geurteilt. Jetzt drückt der Bundesgesetzgeber nur noch einmal aus, was schon vorher galt. Das haben bislang alle Juristen – bis auf einige ganz wenige – so gesehen. Aber wenn ein Richter leidenschaftlich meint, dass die Freiheit der Eltern, das Kind religiös zu erziehen, nicht so weit gehen darf, dann schafft auch das neue Gesetz noch keine 100-prozentige Rechtssicherheit.
Wie ist das möglich?
Findet eine Beschneidung statt, und ein Staatsanwalt klagt an, dann landet – sofern der Richter den neuen Paragrafen für verfassungswidrig erklärt – der Fall beim Bundesverfassungsgericht. Ein unter Umständen jahrelanges Verfahren. Die wirklich endgültige und sofortige Rechtssicherheit, die wir brauchen und auf anderem juristischen Weg bekämen, schafft das Gesetz daher leider nicht.
Was wäre der andere juristische Weg?
Drei Bundesländer sind ihn gegangen: Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin. Dort sind die Staatsanwälte angewiesen, bei kunstgerechten, religiös begründeten Beschneidungen nicht anzuklagen. Das ist die Rechtslage schon seit Jahrhunderten, sie wurde nur bestätigt. Diese Weisung im Bundesland geht am schnellsten und wirkt 100-prozentig. Wo kein Kläger, da kein Richter. Das neue Gesetz hingegen ist nur der zweitbeste Weg, weil er lang und umständlich war. Er hat Juden und Muslime monatelang unnützerweise geängstigt. Mich ärgert das.
Kann das dazu führen, dass jetzt auch andere Beschneidungsgegner den Weg nach Karlsruhe gehen?
Wer nicht direkt an einem Fall beteiligt ist, kann sich nicht von sich aus einmischen. Kein Kinderschutz- oder Ärzteverband kann das Bundesverfassungsgericht anrufen. Nur wenn ein Staatsanwalt anklagt, der dann auch noch einen Richter findet, der das Beschneidungsgesetz für verfassungswidrig erklärt, droht so ein Verfahren. Beide wüssten zwar, dass sie gegen den Willen des Bundestages handeln, aber einen richtigen deutschen Rechthaber bremst das nicht. Deswegen ist jenes »Anklageverbot«, das die Staatsanwaltschaften jener drei Bundesländer bindet, die beste Idee. Wenn Sie in einem der anderen 13 Bundesländer beschneiden wollen und 100-prozentige Sicherheit wünschen, dann fragen Sie Ihre Staatsanwaltschaft. Sie wird Ihnen mitteilen, dass sie nicht anklagen wird. Andernfalls beschneiden Sie lieber in Berlin, Baden-Württemberg oder Hamburg.
Mit dem Professor für Staatsrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sprach Detlef David Kauschke.