Joachim Gauck will »links, liberal und konservativ« zugleich sein. So etwas nennt man im Allgemeinen Beliebigkeit. Doch der 72-Jährige, der am 18. März zum Präsidenten gewählt wird, versteht sich selbst ja als »Bürger, der mitredet«. Und beim Mitreden dient ein breites Repertoire verschiedener Einstellungen der Anpassungsfähigkeit und ist durchaus hilfreich.
Zum Beispiel hatte er vor Stadtvierteln mit zu vielen Zugewanderten und zu wenigen »Altdeutschen« gewarnt und Thilo Sarrazin als »mutig« gelobt. Erinnert sei auch an die unpassende Gleichsetzung von NS- und DDR-Diktatur. Gauck gehört zu den Mitautoren des Schwarzbuchs des Kommunismus, das eher eine Propagandaschrift denn ein seriöses historiografisches Werk ist. Des Weiteren hat er das umstrittene Zentrum gegen Vertreibung in Berlin begrüßt und hält deutsche Opfer für ein »lange vernachlässigtes Erinnerungsgut«.
Rhetoriker Vieles davon steht in einem relativierenden Kontext, und man muss vermuten, dass ein begabter Rhetoriker wie Gauck solche Aussagen bewusst platziert hat. Wäre es anders, er wäre als Bundespräsident ungeeignet. Schließlich ist der oberste Repräsentant des Staates kein Praktikant, den man mal gewähren lässt.
Ihm, wie es derzeit als Entgegnung auf Kritik heißt, erst einmal eine Chance zu geben, wäre leichter, wenn sich das künftige Staatsoberhaupt in seinen Reden klarer, eindeutiger und weniger missverständlich und interpretationsbedürftig geäußert hätte. Vor allem müsste Gauck wohl auf die Pose des »Mahners« verzichten, die er so gerne einnimmt. Und dabei letztlich doch gerne dem Stammtisch das Wort redet.
Dann besteht doch die Chance, dass wir es mit einem großen Präsidenten zu tun bekommen. Christian Wulffs Feststellung, dass der Islam auch zu Deutschland gehört, mag banal gewesen sein, sie war aber wichtig. Es bleibt zu wünschen, dass Gauck bald auch die richtigen Worte findet. Gegenüber Migranten, gegenüber Juden und anderen Minderheiten in der Bundesrepublik, gegenüber der Geschichte.
Deutschland braucht keine konservative Autoritätsfigur und keinen Totalitarismustheoretiker. Es braucht Persönlichkeiten, die für eine Kultur der Solidarität und des Miteinanders werben. Ob Gauck sich selbst so wandeln kann, dass er den Ansprüchen an das Amt genügt, ist unsicher. Es ist ihm und einem modernen, zukunftsoffenen Deutschland zu wünschen.