Antisemitismus-Debatte

Frage der Perspektive

Menora im Fenster des Berliner Restaurants »Feinberg’s«, dessen Betreiber Yorai Feinberg im Dezember antisemitisch beschimpft wurde. Foto: Gregor Zielke

Berlin, im Dezember: Ein israelischer Gastronom wird vor seinem Restaurant aufs Übelste antisemitisch beschimpft. »Ihr werdet alle in den Gaskammern landen«, droht ihm ein 60-jähriger Mann. An einem Weddinger Gymnasium wird ein Schüler von seinen arabischstämmigen Mitschülern drangsaliert: Man solle den Juden die Köpfe abschneiden. »Hitler war gut, denn er hat die Juden umgebracht!«, ruft ein Mädchen.

Auf einer Demonstration im Bezirk Neukölln gegen die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem werden selbst gemalte israelische Fahnen verbrannt. Demonstranten fordern »Tod Israel!« und brüllen auf Arabisch »Chaibar, Chaibar, o ihr Juden! Mohammeds Heer kommt bald wieder!« Damit erinnern sie an den Feldzug Mohammeds gegen die jüdischen Bewohner der Oase Chaibar im Jahr 628.

Antisemitismus hat viele Gesichter. Mal zeigt er sich offen und vulgär, wie bei den jüngsten Vorfällen in Berlin. Mal zeigt er sich leise und subtil. Er ist aber stets gleichermaßen gefährlich.

auswanderung Forscher der Universität Bielefeld und der Frankfurt University of Applied Sciences haben 2016 in Deutschland lebende Juden zu Antisemitismus befragt. Sie stellten fest: Drei Viertel der Befragten sehen Antisemitismus als großes oder sehr großes Problem, 60 Prozent haben bereits über Auswanderung nachgedacht. Das heißt nicht, dass uns ein jüdischer Exodus aus Deutschland bevorsteht. Aber die Ergebnisse sind beunruhigend und zeigen, dass die Sorge in der jüdischen Gemeinschaft wächst.

Während sich viele von uns durch den Antisemitismus zunehmend bedroht sehen, wird Judenhass von der Mehrheitsgesellschaft nicht als drängendes Problem wahrgenommen. Juden und Jüdinnen fühlen sich mitunter alleingelassen. Diese Studie ist eingeflossen in den Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus. Der im April 2017 veröffentlichte Bericht zeichnet ein umfassendes Bild des Judenhasses in Deutschland.

Die Experten kommen zu dem Schluss, dass es eines Beauftragten zur Bekämpfung von Antisemitismus bedarf. Mitglieder der geschäftsführenden Bundesregierung, etwa Bundesinnenminister Thomas de Maizière oder Bundesjustizminister Heiko Maas, haben sich dieser Forderung angeschlossen. Der Zentralrat der Juden dringt bereits seit einiger Zeit darauf. Nach unserer Vorstellung soll dieser Beauftragte im Bundeskanzleramt angesiedelt sein und ressortübergreifend mit den Ministerien zusammenarbeiten.

rheinland-pfalz Unlängst wurde bekannt, dass Rheinland-Pfalz als erstes Bundesland im Frühjahr 2018 einen Antisemitismusbeauftragten bekommt. Die Landesregierung zeigt damit, wie wichtig ihr der Kampf gegen Antisemitismus ist. Es bleibt zu hoffen, dass die Stelle finanziell und personell so ausgestattet wird, dass Antisemitismus effektiv angegangen werden kann.

In diesem Jahr begeht die jüdische Gemeinschaft zwei besondere Jahrestage. Am 9. November jährt sich die Pogromnacht zum 80. Mal. Wir sehen vor unserem inneren Auge Bilder von brennenden Synagogen, geplünderten jüdischen Geschäften und deutschen Juden, die durch die Straßen ihrer Heimatstädte getrieben werden. Wir denken an Jüdinnen und Juden, die in dieser Nacht verhaftet, misshandelt oder ermordet wurden. Diese Bilder sind eingebrannt in das kollektive Gedächtnis der jüdischen Gemeinschaft. Der 9. November 1938 zeigt, wohin Antisemitismus und blanker Menschenhass führen können. Die Pogromnacht war ein dunkler Vorbote für das, was darauf folgen sollte.

Der zweite bedeutende Jahrestag ist der 14. Mai. Vor 70 Jahren, am 14. Mai 1948, rief David Ben Gurion den Staat Israel aus. Für Juden weltweit ist es ein symbolträchtiger Tag. Er markiert die Verwirklichung einer langen Hoffnung auf einen eigenen Staat. Nach Jahrhunderten der Ausgrenzung, Verfolgung und Vernichtung wurde mit der Gründung des Staates Israel der Wunsch der Juden nach einem Leben in Freiheit und Sicherheit Realität.

zionismus Denn der politische Zionismus entstand als Reaktion auf den zunehmenden Antisemitismus in Europa. Die israelische Staatsgründung lässt sich nicht losgelöst von der Schoa betrachten. Hätte es den Staat Israel in den 30er-Jahren gegeben, wäre es nicht zu dem gekommen, zu dem es gekommen ist.

Heute ist es salonfähig geworden, Israel das Existenzrecht abzusprechen und auf »die Zionisten« zu schimpfen. Dabei ist klar: Wer Zionisten sagt, meint nichts anderes als Juden. Häufig wird argumentiert, dass man Israel nicht kritisieren dürfe. Darauf folgt dann eine Schimpftirade, die gängige antisemitische Stereotype mit einschließt. Wen wundert es da, dass der Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus bei 40 Prozent der deutschen Bevölkerung israelbezogenen Antisemitismus feststellt? Auch in Teilen der muslimischen Community ist das ein Problem.

Vor dem wachsenden Antisemitismus sollten wir nicht die Augen verschließen. Wer judenfeindliche Einstellungen hat, ist häufig offen für andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Dafür darf kein Platz sein in unserer Gesellschaft. Daran sollten wir auch 2018 gemeinsam arbeiten.

Der Autor ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

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