Es gibt – wenn auch leider immer seltener – Momente, in denen man als Fernsehzuschauer seine Rundfunkgebühren gut verwendet sieht. Am Montag dieser Woche war ein solcher Moment. Da lief um 22.45 Uhr in der ARD die Reportage »Antisemitismus heute – wie judenfeindlich ist Deutschland?«.
Für Leser dieser Zeitung wird das, was dort gezeigt wurde, nichts Neues gewesen sein. Wahrscheinlich aber für die Masse der Zuschauer. Denn Antisemitismus ist in Deutschland etwas, das man gern verdrängt. Vor allem, wenn er aus der viel zitierten »Mitte der Gesellschaft« kommt. Dabei ist, wie der Film eindrücklich zeigte, Judenhass hierzulande kein Randphänomen, sondern durchzieht den Alltag.
Und das eben nicht nur bei den üblichen Verdächtigen – Neonazis, Islamisten, linke Antizionisten. Mit am Ekel erregendsten waren die gezeigten Beispiele von Antisemitismus gebildeter, wohlmeinender Bundesbürger, zumal wenn er im Gewand moralisch mahnender Fürsorge daherkommt: »Wenn ihr euch hier so benehmt, dann müsst ihr euch nicht wundern, wenn wieder mal so was passiert.«
verdienst Die Urheber solcher und ähnlicher Sprüche, wie jeder Jude hierzulande sie schon dutzendfach gehört hat, weisen selbstverständlich weit von sich, Antisemiten zu sein. Man kennt das. Es ist das Verdienst dieser 45-minütigen Reportage, gegen das herrschende, pathologisch gute Gewissen darauf insistiert zu haben, dass doch sein kann, was nicht sein darf, allen gängigen Rationalisierungen zum Trotz.
Und noch ein Punkt verdient Lob. Anlass dieser Reportage war der bevorstehende 75. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938. Solche Ereignisse werden im Fernsehen und anderswo gewöhnlich mit historischen Reminiszenzen abgefeiert. Dass die ARD wenigstens dieses eine Mal den Fokus nicht auf die Vergangenheit richtete, sondern auf die Gegenwart, war bitter nötig. Denn nicht was war, macht Juden in Deutschland heute Sorgen, sondern das, was ist.