Der Auslandssender Deutsche Welle (DW) sieht sich mit Vorwürfen zu antisemitischen und israelfeindlichen Haltungen bei einigen Mitarbeitern und Kooperationspartnern konfrontiert. Anfang Dezember hat die DW die Zusammenarbeit mit dem jordanischen Medienpartner Roya TV ausgesetzt und eine unabhängige externe Untersuchung zu den Vorwürfen eingeleitet.
DW-Intendant Peter Limbourg kündigte im Gespräch mit dieser Zeitung einen harten Kurs an, der Sender toleriere Antisemitismus und Israel-Hass nicht. Im Interview äußert sich nun der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, zu dem Fall.
Herr Klein, wie blicken Sie auf die Antisemitismusvorwürfe bei der Deutschen Welle?
Ich begrüße es sehr, dass die Debatte stattfindet. Sie ist notwendig, denn die Vorwürfe sind erheblich. Jetzt sind die richtigen Mechanismen in Gang gesetzt worden.
Hat sich der deutsche Auslandssender an Sie als Beauftragten der Bundesregierung im Kampf gegen Antisemitismus gewandt?
Nein. Und ich bin auch grundsätzlich eher zögerlich, mich als Beauftragter der Bundesregierung in dieser Angelegenheit zu äußern. Die Antisemitismusbeauftragte in Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ist Mitglied der unabhängigen Kommission, die die Vorgänge in der Deutschen Welle untersucht - und damit eine sehr kompetente Sachverständige.
Es gibt Vorwürfe zu antisemitischen und antiisraelischen Haltungen bei einzelnen Mitarbeitern und Kooperationspartnern. Wo sollten die Grenzen in der Zusammenarbeit mit diesen Partnern verlaufen?
Ein wichtiger Anhaltspunkt ist das Deutsche-Welle-Gesetz. Demnach muss die Berichterstattung unabhängig sein und darf nicht einseitig eine bestimmte Partei oder auch Religionsgemeinschaft unterstützen. Auch sind Angebote unzulässig, die zu Hass anstacheln. Das ist klar vom Gesetzgeber vorgegeben. Kontrollgremien wachen über die Einhaltung dieser Grundsätze.
Hat die DW als deutscher Auslandssender, der aus Steuergeldern finanziert wird, eine besondere Verantwortung?
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben grundsätzlich eine besondere Verantwortung, basierend auf ihrem Bildungsauftrag. Die Deutsche Welle sehe ich dabei im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt besonders in der Pflicht. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt, ausgewogen über konträre Positionen zu berichten. Zugleich muss eine kritische Berichterstattung zu Israel möglich sein.
Nicht nur Medien haben Kooperationspartner im arabischen Raum, auch Institutionen, Nichtregierungsorganisationen oder Stiftungen.
Nach dem Beschluss des Bundestages zur israelfeindlichen BDS-Bewegung von 2019 sollen Gruppen, die die Anliegen Boykott, Desinvestition und Sanktionen unterstützen, keine staatlichen Gelder zur Verfügung gestellt werden. Zugleich ist gerade bei Organisationen in den palästinensischen Gebieten eine Nähe zu BDS sehr verbreitet, wobei sich oftmals ebendiese Organisationen auf der anderen Seite für erstrebenswerte Ziele wie etwa Frauenrechte einsetzen. Zu der Frage, wie man damit umgeht, gibt es keine generelle Linie. Daher muss in diesen Zusammenhängen in jedem Einzelfall geprüft werden, ob Gelder aus Deutschland dafür eingesetzt werden können. Und es gelingt ja sehr vielen Entwicklungsorganisationen, kirchlichen Hilfswerken und Stiftungen, die Balance zu halten.
Wie sollten Medien damit umgehen, wenn sich Mitarbeiter oder potenzielle Mitarbeiter in der Vergangenheit antisemitisch geäußert haben?
Jeder sollte eine Chance zur Korrektur bekommen. Und jeder Mensch hat Anspruch darauf, dass man ihn nach seinen aktuellen Sichtweisen und deren Glaubwürdigkeit beurteilt. Die Reflexe in unserer Medienlandschaft in Deutschland funktionieren gut, wenn journalistische Berichterstattung wie jetzt zur Deutschen Welle bekannt wird und zu einer öffentlichen Debatte führt.
DW-Intendant Peter Limbourg sagte der »Jüdischen Allgemeinen«, dass der Verhaltenskodex des Hauses geschärft werden müsse. Kann dieser Schritt zu einer Verbesserung führen?
Eine Schärfung des Verhaltenskodex sollte Hand in Hand gehen mit der Einhaltung entsprechender Kontrollmechanismen. Mit dem Deutsche-Welle-Gesetz sind die Leitlinien eigentlich auch schon vorgegeben.
Am Freitag hat sich der Distributionsausschuss des Rundfunkrats der Deutschen Welle mit den Vorwürfen befasst und die Analyse des Senders gelobt. Es gibt aber offenbar Zweifel von Mitarbeitern, dass die Senderleitung ernsthaft gewillt sei, den Ursachen für die Krise auf den Grund zu gehen.
Bei der Erheblichkeit der Vorwürfe ist die Senderleitung sehr gefragt, den Ursachen auf den Grund zu gehen.
Der Rundfunkratsvorsitzende, Prälat Karl Jüsten, sagte, Kooperationen müssten auch immer im jeweiligen regionalen Kontext gesehen werden. So müsse berücksichtigt werden, dass die Beziehungen zu Israel in der arabischen Welt anders als in Europa betrachtet würden. Ähnlich hatte sich auch Limbourg geäußert. Ist das ein gangbarer Weg für den deutschen Auslandssender?
Das ist eine schwierige Gratwanderung. Selbstverständlich muss der Sender in der Bevölkerung eines Staates Verbreitung finden. Aber es gibt Grenzen, etwa, wenn aus deutscher Sicht strafrechtlich relevante Inhalte verbreitet werden. Gleichwohl habe ich Verständnis für das Grundproblem, weil der Sender auf Kooperationspartner im Ausland angewiesen ist. Deutschland hat aus historischen Gründen ein besonderes Verhältnis zu Israel. Wir sind ganz besonders sensibel. In der arabischen Welt spielen andere Narrative eine Rolle.
Wo verläuft aus Ihrer Sicht die Grenze zwischen legitimer Kritik am Staat Israel und Antisemitismus?
Ich halte es zum Beispiel für völlig akzeptabel, wenn Genehmigungen zu weiteren Siedlungen im Westjordanland kritisch gesehen werden. Wenn jüdische Siedlungen aber als »Krebsgeschwür« bezeichnet werden, ist das antisemitisch. Das trifft auch zu, wenn der Umgang Israels mit den Palästinensern mit der Schoa verglichen wird. Ich finde es richtig, dass die Deutsche Welle ihre Zusammenarbeit mit Roya TV ausgesetzt hat. Antisemitismus ist per se nicht strafbar, Presse- und Meinungsfreiheit sind geschützt. Es ist aber geboten, Judenfeindschaft zu kritisieren.
Der Distributionsausschuss sieht eine »ganz klare rote Linie bei Antisemitismus, offenem Israel-Hass und der Leugnung des Holocaust«. Nun gibt es aber auch Möglichkeiten, Israel-Hass oder überhaupt Antisemitismus codiert zu äußern.
Die genannte rote Linie halte ich für sehr sinnvoll, aber auch versteckten Codes sollte nachgegangen werden. Dazu kann es nützlich sein, wenn im Sender grundsätzlich die Kenntnisse im Bereich Antisemitismus noch mal geschärft und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sensibilisiert werden.
Was erwarten Sie von dem für Ende Januar avisierten Bericht von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und dem Psychologen Ahmad Mansour aus der unabhängigen Untersuchungskommission?
Ich erwarte eine genaue Klärung und Aufarbeitung der Vorgänge und wie es zu den in der Kritik stehenden Äußerungen kam. Es ist auch wichtig, gegebenenfalls Konsequenzen innerhalb der Deutschen Welle daraus zu ziehen. Also sich von Kooperationspartnern oder Mitarbeitern zu trennen, wenn nötig, und Strukturen im Sender zu schaffen, damit so etwas nicht mehr passiert. Frau Leutheusser-Schnarrenberger und Herr Mansour sind unabhängig und absolut kompetent. Wir dürfen auf den Bericht gespannt sein.