Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen Die Linke bringen die »gemäßigte« Strömung in der Parteiführung um Gregor Gysi in größte Verlegenheit. Seit Langem bemüht sie sich, die SED-Nachfolgepartei mit dem Image staatspolitischer Verlässlichkeit auszustatten und so den Nachweis ihrer Regierungsfähigkeit zu liefern. In diesem Sinne war eine Grundsatzrede Gysis vor einigen Jahren zu verstehen, in der er das Existenzrecht Israels als »deutsche Staatsräson« bezeichnete. Jetzt aber wird deutlich, dass dieser Versuch, die Linke für den politisch-moralischen Grundkonsens der Bundesrepublik und damit der westlichen demokratischen Zivilisation insgesamt anschlussfähig zu machen, auf Sand gebaut war.
Zu diesem Konsens gehört die aus dem Holocaust gewonnene Einsicht, dass nur ein wehrhafter Staat den Juden eine solide Rückversicherung gegen das fortwirkende Gift des Antisemitismus bieten kann. Diese Erkenntnis jedoch läuft dem Weltbild des doktrinären Antikapitalismus diametral entgegen.
Ressentiments Ihm gilt die NS-Judenvernichtung als bloße Begleiterscheinung »faschistischer« Unterdrückung, die er aus der Bösartigkeit kapitalistischer Herrschaft ableitet. Dass die »Zionisten« mit dem effektiven Schutz jüdischen Lebens nicht auf eine bessere sozialistische Zukunft warten wollten, ruft das Ressentiment linker Doktrinäre hervor – umso mehr, da Israel heute als moderner kapitalistischer Staat höchst erfolgreich ist. Würde das bei anderen »unterdrückten Völkern« Schule machen, könnten die Linksradikalen mit ihrem manichäischen »Antiimperialismus« einpacken.
Deshalb verbünden sie sich lieber mit reaktionärsten Fortschrittsfeinden wie der Hamas als mit der einzigen Demokratie im Nahen Osten. Da aber die »Reformer« in der Linkspartei weder fähig noch willens sind, sich von diesem, dem Antisemitismus verwandten Antizionismus konsequent loszusagen, bleiben sie in dessen ideologischer Geiselhaft.
Der Autor ist Politischer Korrespondent der »Welt« und »Welt am Sonntag«.