In einem Konferenzraum im Norden Tel Avivs tritt an einem Sonntag Ende Mai ein Mann in blütenweißem Hemd ans Mikrofon und sagt einen Satz, der kurz darauf zur Schlagzeile werden wird: »Normalisierung mit Saudi-Arabien ist definitiv möglich.«
Es ist nicht das erste Mal, dass ein solcher Satz in der Öffentlichkeit fällt. Doch aus dem Mund dieses Mannes hat er besonderes Gewicht. Denn Yossi Cohen, der an diesem Sonntag auf einer Konferenz des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) spricht, leitete von 2016 bis 2021 den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad.
Diplomatische Beziehungen mit Saudi-Arabien gehören wohl zu den wenigen politischen Zielen, auf die sich die meisten Israelis heute noch einigen können. Ein Frieden mit den Saudis würde die bisherigen Abraham-Abkommen, die Israel 2020 mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain, Marokko und Sudan unterschrieb, zugleich vervollständigen und in den Schatten stellen. »Saudi-Arabien ist ein Schlüsselstaat für Israel«, sagte Yoel Guzansky, Experte für die Golfstaaten am INSS, auf der Konferenz.
Signalwirkung Denn Saudi-Arabien ist von ganz anderem Kaliber als die übrigen Golfstaaten. Sein Territorium ist so groß wie die halbe EU; mit gut 20 Millionen Einwohnern zählt es zu den bevölkerungsreichsten arabischen Staaten; dank seiner Ölvorkommen ist seine Wirtschaft die größte im Nahen Osten; und als Hüter der beiden wichtigsten islamischen Stätten Mekka und Medina genießt es unter Muslimen besonderen Status.
Diplomatische Beziehungen mit Saudi-Arabien gehören wohl zu den wenigen politischen Zielen, auf die sich die meisten Israelis heute noch einigen können.
Die Signalwirkung, die ein israelisch-saudisches Abkommen auf die islamische Welt entfalten könnte, zählt zu den großen Hoffnungen, die viele Israelis damit verbinden. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, unter dessen Ägide schon die Abraham-Abkommen zustande kamen, soll die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den Saudis zu einem seiner wichtigsten Ziele für seine aktuelle Amtszeit erklärt haben.
Tatsächlich mehrten sich in jüngster Zeit die Zeichen einer Annäherung. So sollen Netanjahu und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, oft als de-facto-Herrscher des Königreiches beschrieben, in den vergangenen Wochen zweimal miteinander telefoniert und auch über eine mögliche diplomatische Annäherung gesprochen haben, berichteten israelische Medien.
verhandlungen Zudem soll Israel mit Saudi-Arabien derzeit über die Möglichkeit verhandeln, Direktflüge zwischen beiden Ländern einzurichten, um muslimisch-arabischen Israelis die Pilgerreise nach Mekka zu erleichtern. Ein ungenannter israelischer Regierungsvertreter stufte die Chance, dass die Verhandlungen bis Juni zum Erfolg führen würden, gegenüber lokalen Medien bei 60 Prozent ein.
Zudem hat Saudi-Arabien seine Schulbücher überarbeitet und offenbar fast sämtliche israelfeindlichen Inhalte daraus entfernt, wie kürzlich IMPACT-se meldete, eine israelische Nichtregierungsorganisation, die die Schulbücher verschiedener Länder auf antisemitische und israelfeindliche Inhalte analysiert. Es sei ein »klarer Trend der Mäßigung gegenüber Israel« zu erkennen, berichtete Marcus Sheff, der Geschäftsführer der Organisation.
interessen Auch öffentlich sendet das Königreich freundliche Signale aus. »Wir sehen Israel nicht als Feind, sondern als potenziellen Verbündeten«, sagte Kronprinz Mohammed bin Salman im März dem US-Magazin »The Atlantic«. Israels Außenminister Eli Cohen gab sich kürzlich gegenüber der »Jerusalem Post« optimistisch: Eine Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien sei lediglich »eine Frage des Wenn«, sagte er. »Wir und Saudi-Arabien haben die gleichen Interessen.«
In jüngster Zeit mehren sich die Zeichen einer Annäherung.
Damit dürfte Cohen auf den Iran angespielt haben, den beide Länder mit Misstrauen betrachten. Lange galt es unter Analysten als ausgemacht, dass Saudi-Arabien Teherans nukleare Ambitionen fast ebenso fürchte wie Israel, welches darin eine existenzielle Bedrohung sieht. »Schlagt der Schlange den Kopf ab«, soll im Jahr 2010 der damalige saudische König die USA gebeten und damit einen Militärschlag auf das iranische Nuklearprogramm gemeint haben.
Umso überraschender kam für viele die Meldung im März, dass Saudi-Arabien und der Iran unter chinesischer Vermittlung ihre 2016 unterbrochenen Beziehungen erneuert haben. Unter den Experten auf der INSS-Konferenz, deren Oberthema ebenjene saudisch-iranische Beziehung war, herrschte jedoch Einigkeit in einem Punkt: Die Annäherung der beiden regionalen Rivalen mindere nicht die Chancen auf ein saudisch-israelisches Abkommen.
Dafür gibt es andere Hürden. Wie die »New York Times« berichtete, hat Saudi-Arabien gegenüber den USA mehrere Bedingungen für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel genannt, darunter Sicherheitsgarantien, die Lieferung hochmoderner Kampfjets und Hilfe beim Aufbau eines zivilen Nuklearprogramms. Ob US-Präsident Joe Biden, der noch vor wenigen Jahren das Land zum »Paria« hatte machen wollen, die Forderungen erfüllen will und kann, bezweifeln viele Analysten.
konflikt Auch der Konflikt mit den Palästinensern könnte einer Normalisierung im Wege stehen. Hierbei gehen die Meinungen der Experten auseinander. Nicht wenige glauben, dass dem saudischen König Salman das Thema deutlich mehr am Herzen liege als seinem Sohn und designierten Nachfolger. »Eine Normalisierung ist schwer, solange der König am Leben ist«, sagte der Golf-Experte Yoel Guzansky auf der INSS-Konferenz. Dem Kronprinzen trauen viele Analysten hingegen einen Friedensschluss trotz des schwelenden Konflikts zu.
Doch auch das ist längst nicht ausgemacht. »Die palästinensische Sache ist und bleibt ein zentrales Thema für arabische Staaten und steht an der Spitze der Prioritäten des (saudischen) Königreiches«, sagte Mohammed bin Salman kürzlich beim Gipfeltreffen der Arabischen Liga im saudischen Dschidda.
Ex-Mossadchef Yossi Cohen glaubt indes nicht, dass eine mögliche Annäherung am Konflikt mit den Palästinensern scheitern würde. »Wenn die Gespräche richtig geführt werden, mit Garantien seitens der USA, mit bestimmten Aussagen zu den Palästinensern, aber nicht zwangsläufig (konkreter) Politik – dann ist es praktisch möglich.«