»Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit», sagte der langjährige US-Senator Hiram Johnson vor gut 100 Jahren. Daran hat sich auch heute, im Zeitalter der Informationsflut, nicht viel geändert.
Allzu oft ist das, was Lesern und Zuschauern als «Information», als «Bericht» oder als «Einordnung» nahegebracht wird, subjektiv und einseitig. Das wäre noch akzeptabel, wenn es entsprechend gekennzeichnet würde. Doch meist sind solche Berichte schlichtweg irreführend. Wenn das unbeabsichtigt war, spricht man von Fehlinformation.
desinformation Es gibt auch die sogenannte Desinformation, das absichtliche Verbreiten falscher, irreführender oder tendenziöser Nachrichten. Kriegsparteien haben natürlich ein Interesse daran, ihre Sicht der Dinge unter das Volk zu bringen, sie tun das meist mehr oder weniger subtil. Als Journalist aber kann man Behauptungen kennzeichnen und sie demjenigen zuschreiben, der sie geäußert hat.
In der Berichterstattung zum Nahostkonflikt, besonders in Deutschland, kommt noch ein drittes Phänomen hinzu. Nennen wir es «Nichtinformation». Aus lauter Angst davor, etwas Falsches zu sagen oder etwas zu schreiben, was zwar offenkundig auf der Hand liegt, das man aber dennoch nicht klar und deutlich aussprechen möchte, entstehen dann Schlagzeilen wie: «Auto fährt in Menschenmenge».
So titelte die ARD-«Tagesschau» vergangene Woche, nachdem ein neuerlicher Terroranschlag auf Fußgänger in Tel Aviv vermeldet wurde. Dass es sich um einen vorsätzlichen Terroranschlag und nicht um ein bedauerliches Bremsversagen handelte, wurde im Text zwar angedeutet. Aber die Überschrift und auch die Bemerkung, «der Verdächtige» sei aus dem Fahrzeug ausgestiegen, um «auf Zivilisten mit einem scharfen Gegenstand einzustechen», waren reichlich seltsam formuliert.
grundprinzipien Nun ist eines der Grundprinzipien sauberer journalistischer Arbeit, nur Dinge zu veröffentlichen, die sich auch belegen lassen. Aber es macht einen gewaltigen Unterschied bei der Wahrnehmung von Ereignissen, wenn anstelle der Schlagzeile «Israelische Zivilisten bei Terroranschlag an Tankstelle im Westjordanland erschossen» geschrieben steht: «Mehrere Tote nach Schießerei an Tankstelle im Westjordanland». Mit großer Regelmäßigkeit zieren solche Überschriften die Meldungen renommierter deutscher Nachrichtenseiten. Unübertroffen ist die «Focus»-Schlagzeile «Israel droht mit Selbstverteidigung».
«Israelische Streitkräfte töten gerne Kinder», behauptete kürzlich eine BBC-Moderatorin.
Man fragt sich, warum bei Nachrichten aus Israel und dem Westjordanland andere Maßstäbe angelegt werden als bei Ereignissen in den Nachbarstaaten. Es wirkt befremdlich, wenn ein Anschlag von Islamisten auf eine Synagoge in Deutschland ganz anders «eingeordnet» wird als der eines radikalisierten Palästinensers auf eine Synagoge in der Altstadt von Jerusalem oder im Westjordanland. Antisemiten sind sie beide, und die viel zitierte «Besatzung» kann ja wohl keine Rechtfertigung sein für antisemitische Terroranschläge.
In einem TV-Interview der BBC wurde Israels früherem Ministerpräsidenten Naftali Bennett vergangene Woche von der Moderatorin vorgehalten: «Die israelischen Streitkräfte töten gerne Kinder.» Ein ziemlicher Hammer, doch solches Denken schwirrt in den Köpfen vieler Journalisten herum. Würden sie genauso harsch urteilen, wenn 17-jährige IS-Kämpfer irgendwo in Syrien ausgeschaltet worden wären? Wahrscheinlich nicht.
massstäbe Doch woher stammen diese seltsam verrückten Maßstäbe, die gerne dann zutage treten, wenn es um Israel geht? Benjamin Hammer, ehemals Korrespondent für die ARD in Tel Aviv, begründete die Zurückhaltung bei Meldungen zu gewaltsamen Ereignissen in Nahost mit der Sorgfaltspflicht von Medien. Das ist ein wichtiger Punkt.
Sorgfaltspflicht darf indes nicht bedeuten, dass man Fakten unterschlägt, Ursache und Wirkung vertauscht (der dpa-Klassiker: «Israel bombardiert Ziele im Gazastreifen» anstatt «Israel wehrt sich gegen Raketenbeschuss aus Gaza») oder unterschwellig suggeriert, Terror sei in Wahrheit gar kein Terror, sondern so etwas wie ein Unfall mit Personenschaden auf der A8 zwischen Pforzheim-Süd und Heimsheim.
Zivilen Opfern sollte immer journalistische Empathie zukommen, Mördern dagegen nicht, es gibt hier keine Äquidistanz. Umgekehrt ist mangelnde Empathie nicht automatisch ein Ausweis für journalistische Sorgfalt oder Distanz. Angesichts des jahrzehntelangen Terrors gegen die israelische Zivilbevölkerung durch gewaltbereite Palästinenser sind viele Journalisten hierzulande vielleicht etwas abgestumpft. Wer könnte es ihnen verdenken?
besserwisserei Nein, wir wissen nicht alles mit letzter Sicherheit, auch wir Journalisten nicht, obwohl gerade in diesem Berufsfeld die Besserwisserei besonders ausgeprägt ist.
Wer eine Anti-Terror-Operation zu einem gezielten Angriff auf Kinder umdefiniert wie die BBC-Moderatorin, wer anstatt von Amokläufern oder Terroristen lieber von «Widerstandskämpfern» spricht (Der Spiegel), wer schreibt, aus der «Sicht Israels sei Dschenin eine Hochburg militanter Palästinenser» (ZDF.heute), der nimmt seine journalistische Sorgfaltspflicht nicht ernst. Kritik am Vorgehen der israelischen Streitkräfte ist natürlich erlaubt und womöglich auch berechtigt. Sie sollte aber auf journalistischen Mindeststandards beruhen – und keine Schmähkritik sein.