Anschläge in Paris »Tod den Juden!«; eingeschlagene Fensterscheiben im Haus des Oberrabiners im niederländischen Amersfort; verbrannte israelische und amerikanische Flaggen in Brüssel, und ganze Heereszüge propalästinensischer Demonstranten bis in die letzten Winkel bundesdeutscher Klein- und Großstädte – die agile Truppe der antisemitisch-antisraelischen Internationale hat unter der Losung »Gaza« mobil gemacht!
Womit also – salute! – die antizionistisch verbrämte Judenfeindschaft der getreue Begleiter meines nunmehr fast hundertjährigen Lebens geworden ist ...
verantwortung Nirgendwann und nirgendwo in diesen Äonen aber ist die innere Unaufrichtigkeit ihrer Verfechter so offen zu Tage getreten, wie in dem ebenso penetranten wie zentralen Hinweis auf »die Ungleichheit der palästininensischen und der israelischen Totenzahlen im Gaza-Konflikt!« Europa - deine Heuchler!
Denn wieder wird ungeheuerlicherweise und notorisch unterschlagen, dass die Hamas, und nicht Israel, erstverantwortlich auch für die palästinensischen Opfer · ist. Wieder also ist die kollektive Entbindung der wahren Übeltäter von der Primärverantwortung für jeden Zivil- und Militärtoten des Konfliktes ihr historischer Makel, das brüchige Fundament, auf dem das Aggressionspotential der Bewegung steht, das Stigma einer Lebenslüge.
Nein, Israel steht nicht unter kritischem Naturschutz – palästinensisches Leben ist nicht weniger wert als israelisches. Dreht sich einem doch das Innerste nach außen, wenn man von hier auf jetzt elternlos gewordene Kinder klagend durch Trümmerlandschaften flüchten sieht, bis es sie dann im nächsten Augenblick durch Kugel oder Granatsplitter selber trifft (wobei nichts die Hamas exakter charakterisiert, als dass sie von diesen Toten gar nicht genug kriegen kann).
freiheit Noch einmal, Israel steht nicht unter kritischem Naturschutz. Im Gegenteil – je schmerzhafter Kritik ist, desto heilsamer – die Humanitas ist unteilbar. Gerade darin, in seiner demokratischen Charta, seinem ehernen Grundgesetz, liegt doch Israels Kraft. Es ist ein Kampf, den es seit seiner Geburt unter größten Anstrengungen gegen äußere und innere Gegner erfolgreich bestanden hat, mit der Majestät der Freiheit in seinem Rücken, aber ohne Wechsel auf die Zukunft.
Nichts davon schlägt sich auch nur andeutungsweise in den mörderischen Losungen und geifernden Parolen der wüsten Aufmärsche wieder.
Aber wollen (noch!) ungefährdete Deutsche tatsächlich allen Ernstes die Israelis besserwisserisch belehren, wie sie vor den Mordanschlägen der Dschihadisten und der Hisbollah zu schützen sind? Wie es sich leben lässt in einem Land, in dem jedermann jederzeit überall zum Subjekt von Anschlägen werden kann? Und darf man angesichts so hassverzerrter Mimik fragen, was wäre, wenn der Raketenregen auf die Bundesrepublik Deutschland niedergehen würde? Was, wenn Attentatsfurcht in ihren Alltag einzöge? Es bedarf wohl keiner großen Phantasie, um sich die hiesigen Folgen vorzustellen – Panik, Chaos, Rufe nach dem »starken Mann« und nach der Todesstrafe. Und die Demokratie? Hier versagt meine Phantasie ...
Ich weigere mich nach wie vor, die Maßnahmen Israels zum Schutze seiner Bürgerinnen und Bürger auf die gleiche Stufe zu stellen mit den hinterhältigen Anschlägen der Terroristen – ich weigere mich kategorisch.
geschichte Nicht Israel wird es sein, von dem aus die großen Schatten über das 21. Jahrhundert fallen werden. Fallen werden sie aus der Hemisphäre von 22 arabischen Ländern, die 50mal mehr Menschen haben als Israel, 800mal mehr Bodenfläche und – die größten Anpassungsshwierigkeiten an die Moderne (ohne je die Ursachen dafür bei sich selbst zu suchen).
Den selbsternannten, von mir hier angesprochenen und angegriffenen Israel-Anklägern in mancher bundesdeutschen Redaktionsstube und Chefetage der Medien aber rate ich, sich mit dieser aus einem Weltärgernis längst zu einer Weltbedrohung gemauserten Geschichtsbewegung intensiver als bisher zu beschäftigen. Steht doch nirgends geschrieben, dass Deutschland ein weißer Fleck auf der Landkarte der Terroristen bleiben wird.
Was mich an der bundesdeutschen Szene adrenalisiert, ist die grenzenlose, geradezu reflexhaft einseitig reagierende Schuldzuweisung an Israel, wie sie gerade jetzt wieder durch weite Teile der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung zum Ausdruck kommt. Erschreckend dabei übrigens, um wieviel höher als der durchschnittliche Pegel der anti-israelische und antisemitische innerhalb der muslimischen Minderheit in der Bundesrepublik liegt. Ohne einer Generalisierung das Wort reden zu wollen – auch das widerspiegelt sich derzeit unmissverständlich in erschreckender Direktheit auf unseren Straßen unter der grünen Fahne des Propheten.
Natürlich gibt es Bundesgenossen, mächtige Freunde, Gutwillige, Mitkämpfer. Sie stehen fest auf jüdischer, auf israelischer Seite, und das bis in die höchsten administrativen, parlamentarischen und privaten Kreise und Ränge.
verunsicherung Eine neue Verunsicherung in der jüdischen Gemeinschaft der Bundesrepublik aber ist nicht zu leugnen, so wenig wie die Ängste um das mehr denn je bedrohte Mutterland im Nahen Osten.
Es ist wie ein Bann, wie ein Fluch, der auch vor dem neuen Staat auf altem Boden nicht haltgemacht hat, sondern im Gegenteil Juden dort am stärksten gefahrdet, wo sie sich am sichersten glaubten, nachdem ihre jahrtausendealte inbrünstige Hoffnung »nächstes Jahr in Jerusalem« als Folge des Sechstagekrieges verwirklicht worden ist.
Mit diesem hochgefährdeten Land fühle ich mich unlösbar verbunden, eine Ankettung, die unabhängig ist von politischen Strömungen und Fraktionsbildungen. Die Liebe zu ihm ist die Hülle meiner Kritik an ihm, ihm gehört all meine Bewunderung und so manches noch, was mir im Halse stecken bleibt, wenn ich es sagen möchte und nicht kann, weil es mir die Sprache verschlägt. Ich bin überzeugt von der Kraft dieses Landes und seiner Zukunft, ich baue auf seine Phantasie, seine Kreativität, seine gewaltige Vitalität und seine Überlebensfähigkeit.
Daneben aber bekenne ich jene tief jüdische Unruhe, wie sie sich in dem Titel eines von mir vor fast 25 Jahren erschienenen, aber nach wie vor hoch aktuellen Buches niedrgeschlagen hat: Israel, um Himmels Willen, Israel.
wiederbegegnung Ich stehe nicht an, zu bekennen: Mir bebt das Herz, wenn ich heute wieder zum Zeugen eines Hasses werde, den ich, 1933 zehn Jahre alt, nur zu genau kennengelernt und in Erinnerung behalten habe. Mir wird schwarz vor den Augen, wenn ich in den heutigen Bildern all den stereotypen Denk- und Sprechweisen wiederbegegne, die ich als Staatsmacht am eigenen Leine so bitter zu spüren bekommen habe.
Niemals hätte ich geglaubt, dass meine geschworenen Todfeinde von gestern in Gestalt Nachgewachsener die späten Tage bis in die Träume hinein so heimsuchen würden, wie es derzeit geschieht.
Aus all dem aber kann nur ein Schluss gezogen werden: »Masada wird nie wieder fallen!«
Der Autor ist Schriftsteller in Köln.