Der deutsche Schriftsteller Ingo Schulze war »empört und beleidigt«. Er wurde in Portugal mit der Frage konfrontiert, ob Deutschland nun mit dem Euro den Kontinent beherrschen wolle, da die Eroberung mit Panzern gescheitert sei. »Immer mit der Keule«, seufzt »Die Zeit«. Auch der »Stern« ist entsetzt: »Griechen schwingen die Nazi-Keule«, und der »Tagesspiegel« regte sich schon vor zwei Jahren auf: »Wenn sich jemand in der EU über Deutschland ärgert, wird gerne mal an die Vergangenheit erinnert.«
Unstreitig ist: Die Darstellungen einer naziuniformierten deutschen Kanzlerin sind durch nichts zu rechtfertigen und lassen im Übrigen einen erheblichen Mangel an Geschmack und Logik erkennen. Das gilt auch für die Abbildungen der Viktoria-Statue von der Berliner Siegessäule mit ei-nem hochgehaltenen Hakenkreuz und ähnliche Geschmacklosigkeiten. Das Niveau dieser Abbildungen ist indiskutabel, entspricht aber häufig der Qualität der Blätter, die sie abdrucken.
Kulisse Doch es wäre zu kurz gegriffen, würde man die Bezüge zur Vergangenheit lediglich auf die Nervosität oder Instrumentalisierungslust der Südeuropäer schieben. Abseits aller karikaturistischen Perversitäten findet diese Diskussion vor einer düsteren historischen Kulisse statt, die ihre Schatten bis in die Gegenwart wirft. Dies gilt auch und vor allem für das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland.
Der so entstehende Diskussionsbedarf löst sich nicht dadurch auf, dass wir unter dem pflichtbewussten Hinweis auf die eigene Verantwortung für den Judenmord Zurückhaltung üben, die Stimmung der Griechen ansonsten als Hysterie oder Instrumentalisierungsversuche abtun.
Beides wäre falsch: Auch deshalb, weil das Schicksal griechischer oder europäischer Juden das griechische Volksbewusstsein sicherlich nur marginal bewegt. Zudem existieren objektive Umstände abseits der Katastrophe des Judenmordes, die es zu erwähnen gilt. Etwa die Frage der mangelhaften deutschen Reparationen für die ausgebeutete griechische Wirtschaft und das endlose Leid der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg. Jeder, der sich über die anti-deutsche Empörungswelle in der griechischen Öffentlichkeit beklagt, muss sich des tragischen Kontextes bewusst werden.
Diesen führt etwa die Geschichte eines kleinen Dorfes Distomo vor, in welches eine SS-Division im Jahre 1944 einmarschierte und 218 Menschen, viele davon Frauen und Kinder, kurzerhand erschoss: eine Vergeltungsaktion für den Tod zweier deutscher Soldaten. Die Überlebenden dieses Schreckens kämpfen immer noch um eine Entschädigung.
Und verlieren vor deutschen Gerichten. Etwa deswegen, weil (so das Bundesverfassungsgericht) die Massaker kein nationalsozialistisches Unrecht darstellten, sondern lediglich einen Akt der Kriegsführung, für den Deutschland nach damaligem Recht nicht hafte. Die Richter haben gesprochen.
Verhältnis Rechtlich mag das Verhältnis zwischen den beiden Ländern korrekt aussehen. Weniger tragisch wird es dadurch nicht. Tragisch bleibt es nicht nur, weil Griechenland unter den »nicht-slawischen« Ländern Europas von der deutschen Wehrmacht am schlimmsten geplündert und misshandelt wurde.
Tragisch ist es auch deshalb, weil sich die deutschen Regierungen nach Einschätzung vieler jahrzehntelang gegen eine adäquate Entschädigung für das Land gesperrt haben. Und zwar mit Erfolg. Aus Sicht des Historikers Hagen Fleischer etwa steht fest, dass Deutschland sich vor Reparationen erfolgreich »gedrückt« habe, auch deswegen, weil den Griechen eine starke Lobby fehlte, um ihre Interessen wirkungsvoll zu verteidigen.
Wenn deutsche Politiker die Griechen und ihre Nachbarn frank und frei ermahnen und belehren, wenn sie ihnen attestieren, zu viel Urlaub und zu früh Rente zu machen, wenn ein deutscher Minister dem Land einen Sparkommissar anordnet, muss all das immer noch vor diesem historischen Kontext gesehen werden. Vor dem Kontext des Krieges und dem Vorwurf, Deutschland habe wenig Bereitschaft gezeigt, die finanzielle Verantwortung hierfür zu übernehmen. Die Ursachen für die heutige Krise mögen wenig mit diesem historischen Unrecht zu tun haben, sehr wohl aber die beiden beteiligten Staaten.
Wir alle gehen davon aus, dass es sich bei Deutschland heute um ein ganz anderes Land handelt, als es das noch vor 70 Jahren war. Politisch und gesellschaftlich gesehen ist diese Feststellung zutreffend. Wir fühlen uns anders, wir gestalten unsere Gesellschaft anders und, ja, wir können erfolgreich Weltmeisterschaften ausrichten.
Doch es gibt immer auch eine Kluft zwischen Eigen- und Außenwahrnehmung. Viel vom heutigen Reichtum dieses Landes ist den kolossalen Anstrengungen seiner Bevölkerung zu verdanken. Doch die Bundesrepublik Deutschland ist nicht wie eine Schönheitsgöttin aus dem Wasserschaum geboren.
Auch ihr Reichtum nicht. Es gab Vorfahren, und die waren hässlich. In Zeiten der Krisen werden wir von denjenigen daran erinnert, die sich ungerecht behandelt fühlen. Offensichtlich hat das Vergessen unterschiedliche Geschwindigkeiten. Und das Verzeihen auch.
Der Autor ist Rechtsanwalt und Publizist in Berlin.