Drittes Reich

»Etappensieg auf dem Weg zur totalen Macht«

Hitler begrüßt Hindenburg am »Tag von Potsdam« Foto: picture-alliance / akg-images

Schwarz-weiß-rote und Hakenkreuz-Fahnen, deutschlandweite Rundfunkübertragung, Handschlag von Hitler und Hindenburg: Am »Tag von Potsdam« wurde am 21. März 1933 symbolträchtig die Eröffnung des neu gewählten Reichstags nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten inszeniert.

Der Tag vor 90 Jahren, der danach auch mit Andenken und Gedenkmünzen vermarktet wurde, beginnt mit Gottesdiensten in der evangelischen Nikolaikirche und der katholischen Stadtpfarrkirche von Potsdam. Dann geht es zur Garnisonkirche.

Reichskanzler Hitler tritt dort beim Staatsakt auf und gibt eine Regierungserklärung ab, stellt sich als Friedensfreund dar und kündigt gleichzeitig an, »diejenigen unschädlich zu machen, die dem Volke zu schaden versuchen«. Nach den Feierlichkeiten geben sich Hitler und der 86-jährige uniformierte Reichspräsident Paul von Hindenburg zur Verabschiedung die Hand, Hitler verbeugt sich. Das Pressefoto davon steht bis heute symbolisch für das Bündnis alter Eliten aus Staat, Militär, Kirche und Adel mit den neuen nationalsozialistischen Machthabern.

»Rauschhafte Euphorie« »Deutschland hat gehandelt«, heißt es in einer propagandistischen zeitgenössischen Dokumentation zu den Feierlichkeiten: »Es hat den undeutschen Knechtsgeist abgeschüttelt, es hat Potsdam, die Kernstadt des alten Preußentums, das Symbol soldatischer Pflichterfüllung, zum Ausgang einer neuen Epoche der Reichsgeschichte gewählt.« Der Historiker Martin Sabrow spricht später von einer »rauschhaften Euphorie« und einem »weiteren Etappensieg der NS-Bewegung auf dem Weg zur totalen Macht«.

Die Sozialdemokraten boykottieren die Potsdamer Inszenierung, die kommunistischen Abgeordneten des Reichstags und führende SPD-Politiker sind bereits verhaftet oder auf der Flucht. Und an dem Tag, an dem in Potsdam der Schulterschluss von Deutschnationalen und Nationalsozialisten vollzogen wird, macht nördlich von Berlin die SA Jagd auf ihre Gegner. Noch am selben Abend werden die ersten 40 Häftlinge in dem neuen Konzentrationslager Oranienburg in einer ehemaligen Brauerei mitten im Stadtzentrum interniert.

Dass am 21. März 1933 nicht nur der »Tag von Potsdam« gefeiert, sondern auch das KZ Oranienburg in Betrieb genommen wurde, bezeichnet der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten als »treffende Koinzidenz«. »Beides gehört zusammen, das Bündnis der Demokratiefeinde und der Terror«, sagt Axel Drecoll. Viele Angehörige der Eliten hätten einflussreiche Positionen in Verwaltung und Justiz innegehabt und »bei der Zerstörung der Demokratie Hand in Hand mit den Nationalsozialisten« gearbeitet.

Folter und Mord Rund 3000 kommunistische, sozialdemokratische und andere Oppositionelle wurden bis zur Schließung des Konzentrationslagers im Sommer 1934 nach Oranienburg verschleppt. Der Schriftsteller Armin T. Wegner war einer von ihnen, ebenso der Regisseur und spätere erste SFB-Intendant Alfred Braun. Mindestens 16 Häftlinge starben an den Haftbedingungen oder der Folter von SA und SS: Der Schriftsteller und Anarchist Erich Mühsam ist das bekannteste Mordopfer.

Die Zustände im KZ Oranienburg waren bekannt. Acht Journalisten, ein Rabbiner und drei anonyme Autoren verfassten unmittelbar nach ihrer Entlassung oder Flucht Berichte über die Haft, beschrieben die Brutalität des KZ-Personals und die unmenschlichen Haftbedingungen. Die ersten Berichte wurden bereits 1933 veröffentlicht.

Ein internierter niederländischer Journalist publizierte eine Broschüre über »Die Brauerei von Oranienburg«, die Londoner »Times« und eine Exilzeitschrift druckten Berichte. Das Buch des ehemaligen SPD-Reichstagsabgeordneten Gerhart Seger über seine Haft in Oranienburg hatte Ende 1934 weltweit eine Auflage von 210.000 Exemplaren erreicht.

»Tausendfältige Qual« »Sie sind einem der übelsten Orte der Welt entronnen«, so formuliert es der Schriftsteller Heinrich Mann im Vorwort. »Oranienburg - welch ein Wort«, schreibt Seger: »Der Name eines Ortes, dessen Mauern tausendfältige Qual umschließen.« Der Name der Stadt wurde damals zum Synonym für den nationalsozialistischen Terror - ohne Folgen.

»Tag des ›Staatsaktes‹ in Potsdam«, schreibt der Sprachwissenschaftler Victor Klemperer, der später durch den Luftangriff auf Dresden der Deportation entgehen wird, am 21. März 1933 in sein Tagebuch: »Fürchterlichste Pogromdrohungen im ›Freiheitskampf‹ nebst gräßlichen, mittelalterlichen Judenbeschimpfungen.« Zwei Tage später beschließt der Reichstag das Ermächtigungsgesetz und entmachtet sich damit selbst: Die Regierung kann nun Gesetze ohne Beteiligung des Reichstags erlassen. Nur die SPD stimmt dagegen.

Die Kommunisten sind nicht mehr im Parlament vertreten: Die 81 Sitze der drittstärksten Partei KPD waren bereits kurz nach der Wahl annulliert worden. Der NS-Terror wird unter dem Anschein der Legalität fortgesetzt. Am 1. April 1933 werden jüdische Geschäfte boykottiert, Anfang Mai die Gewerkschaften zerschlagen, im Juli sind alle Parteien außer der NSDAP verboten. epd

Erfurt

CDU, BSW und SPD legen in Thüringen Koalitionsvertrag vor

Wegen der Außenpolitik des BSW ist das Bündnis umstritten

 22.11.2024

Antisemitismus

Polizei sucht nach Tatverdächtigem vom Holocaust-Mahnmal

Der Mann soll einen volksverhetzenden Text in das dortige Gästebuch geschrieben haben

 22.11.2024

Debatte

Theologen werfen Papst einseitige Sicht auf Nahost-Konflikt vor

Ein Schreiben von Papst Franziskus zum Nahost-Krieg enthalte einen »blinden Fleck im Denken«

 22.11.2024

Hessen

Boris Rhein verurteilt Haftbefehl gegen Netanjahu

Der israelische Premier verteidige »sein Land gegen Terroristen«, so Rhein

 22.11.2024

CDU/CSU

Unionspolitiker: Verhaftung von Netanjahu auf deutschem Boden »unvorstellbar«

Die größte Oppositionsfraktion kritisiert die fehlende Haltung der Bundesregierung

 22.11.2024

Den Haag

Der Bankrott des Internationalen Strafgerichtshofs

Dem ICC und Chefankläger Karim Khan sind im politischen und juristischen Kampf gegen Israel jedes Mittel recht - selbst wenn es unrecht ist. Ein Kommentar

von Daniel Neumann  22.11.2024

Internationaler Strafgerichtshof

»Halten uns an Recht und Gesetz«: Jetzt äußert sich die Bundesregierung

Außenministerin Annalena Baerbock will aber noch genauer prüfen, was der Entscheid des IStGH bedeutet

 22.11.2024

Budapest

Orbán: »Werde Netanjahu nach Ungarn einladen«

Regierungschef Viktor Orbán will seinen israelischen Amtskollegen trotz des Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofes weiter empfangen

 22.11.2024

Atomprogramm

Iran kündigt Ausbau der Urananreicherung an

Der Atomstreit mit dem Iran geht in eine neue Runde

 22.11.2024