Eine pro-palästinensische Kundgebung in Berlin ist am Samstagabend eskaliert. Ein Ehepaar aus Jerusalem, das zufällig den Weg der rund 800 pro-palästinensischen Aktivisten kreuzte, wurde von den Demonstranten massiv bedroht.
Als die demonstrierende Menge den Kippa tragenden Israeli erblickte, durchbrachen einige von ihnen die Menschenkette, die Polizeibeamte zum Schutz des Paares gebildet hatte. »Nazimörder Israel!«, »Scheiß Juden, wir kriegen Euch!« und »Wir bringen euch um!«, riefen die Aktivisten und versuchten, die Israelis zu attackieren.
»Hätte die Polizei uns nicht geschützt, hätten sie uns wohl umgebracht«, sagte die israelische Ehefrau der Jüdischen Allgemeinen. »Wir sind geschockt.« Nach eigener Aussage sind die beiden Israelis seit Mitte dieser Woche in Berlin, um dem Beschuss des jüdischen Staates durch die Hamas für ein paar Tage zu entkommen: »Das uns der Konflikt bis in den Urlaub nach Berlin verfolgt – unglaublich!« Nachdem Polizeibeamte das Paar in Sicherheit gebracht hatten, setzte die Kundgebung ihren Weg, der vom Alexanderplatz bis Unter den Linden bis zum Potsdamer Platz führte, fort.
Bedrohung Bereits kurz zuvor war es zu einem weiteren gewalttätigen Zwischenfall gekommen. Nachdem einzelne Aktivisten drei Fotografen einer Nachrichtenagentur vergeblich aufforderten, ihre Arbeit einzustellen, wurden auch diese bedroht. »Wir kriegen euch«, »Wir wissen wo ihr wohnt« und »Zionistenpresse« riefen mehrere anti-israelische Demonstranten ihnen zu. Durch das Eingreifen der Polizei konnte ein Angriff auf die Journalisten verhindert werden.
Zu der Kundgebung aufgerufen hatten mehrere palästinensische und linken Gruppen wie der Studierendenverband der Linkspartei (SDS) über die sozialen Medien. Bei der Stadt angemeldet war die Demonstration zuvor nicht. Erst vor Ort gaben die Aktivisten der Polizei Bescheid, die die Kundgebung wegen des Demonstrationsrechts kurzfristig erlaubte.
Trotz der Mahnungen des palästinensischen Organisators, auf Hass und Gewalt zu verzichten, hielten mehrere Demonstranten die Fahne der Hamas hoch und riefen zum gewalttätigen Widerstand gegen Israel auf. Einzelne Demonstranten riefen in Sprechchören immer wieder Parolen wie »Israel ist ein übler Faschist«, »Gaza ist das neue Warschauer Ghetto« und »Kindermörder Israel«.
Charlottenburg Mit etwa 1200 bis 1500 Teilnehmer war die Demonstration am Freitagnachmittag ebenfalls in Berlin eine der größten anti-israelischen Kundgebungen in Deutschland seit Beginn der Operation Protective Edge. Wenige Stunden vor Beginn des Schabbat hatten sich am Freitag auf dem Charlottenburger Adenauerplatz, nur ein paar Hundert Meter entfernt von der Synagoge an der Münsterschen Straße, vorwiegend junge Menschen unter einem Meer palästinensischer Fahnen versammelt.
Nach den Auschreitungen und antisemitischen Beschimpfungen bei Demonstrationen in Berlin, Frankfurt und anderen Städten in den vorangegangen Tagen, musste allein schon angesichts der hohen Teilnehmerzahl mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Doch diesmal blieb alles friedlich.
Neben einem Großaufgebot der Polizei stellten auch die Veranstalter Dutzende Ordner, die sich nach Kräften bemühten, dass der Demonstrationszug vom Adenauerplatz über den Kurfürstendamm bis hin zur Gedächtniskirche am Breitscheidplatz nicht vom Weg abkommt. Immerhin liegen unweit der Strecke noch weitere jüdische Einrichtungen wie das Gemeindehaus in der Fasanenstraße und die Synagoge in der Joachimstaler Straße.
Video Noch am Vortag hatten palästinensische Gegendemonstranten einer pro-israelischen Kundgebung fast an gleicher Stelle unter anderem gerufen: »Jude, Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein!« Das Berliner Büro des American Jewish Committee erstattete Anzeige, am Freitag teilt ein Polizeisprecher mit, dass bereits Videoaufnahmen ausgewertet würden.
Doch bei der demonstration am Freitag schienen sich die Veranstalter, die »Palästinensische Nationale Arbeitskommission« und die »Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland« Mühe zu geben, wenigstens formal die Unterscheidung zwischen Juden einerseits und Israelis beziehungsweise »Zionisten« aufrechtzuerhalten. Das Publikum gehört offenbar größtenteils zur Anhängerschaft der PLO respektive der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas. Zuweilen wird gerufen: »PLO! PLO! Israel – No!«
Einzelne Demonstranten hielten aber auch großformatige Fotos von Ismail Haniyya in die Luft – einem der Führer der in Deutschland als Terrororganisation verbotenen Hamas. Immer wieder werden in Sprechchören und auf Transparenten dem Staat Israel »Völkermord«, »Massaker in Gaza« und »Kriegsverbrechen« vorgeworfen. Auch von Seiten des Vorsängers heißt es über Lautsprecher: »Zionisten sind Faschisten, töten Kinder und Zivilisten«.
»Widerstand« Bei einer Zwischenkundgebung erzählte ein etwa 20-jähriger junger Mann vom »Widerstand«, den »wir seit 65 Jahren leisten«. Er wisse genau, so der Redner, dass »die blutrünstigen Israelis Freude daran empfinden, Kinder zu ermorden«.
Während von der Spitze der Demo immer wieder »Hoch die internationale Solidarität« angestimmt wird, rufen vor allem weiter hinten laufende Jugendliche »Kindermörder Israel«. Eine junge Frau zeigt ein Plakat mit der Aufschrift: »Stop doing what Hitler did to you« (»Hört auf das zu tun, was Hitler euch angetan hat«). Junge Männer tragen T-Shirts mit dem Slogan: »Stop den Holocaust in Gaza«.
Bei den wenigen Teilnehmern nicht-palästinensischer Herkunft handelt es sich vorwiegend um deutsche Linke. Neben trotzkistischen Splittergruppen sind es auch Mitglieder von »Die Linke.SDS«, dem Hochschulverband der Partei Die Linke. Die Studierenden halten Plakate mit dem Konterfei von Bundeskanzerlin Angela Merkel hoch, auf denen zu lesen ist: »Merkel finanziert, Israel bombardiert«.
Linke Mitglieder des Linken-Bezirksverbandes Berlin-Neukölln verteilen Zettel, auf denen zu einer Veranstaltung eingeladen wird. Auf ihr soll mit der Linken-Bundestagsabgeordneten Christine Buchholz diskutiert werden, »warum Israel so erbarmungslos gegen die palästinensische Bevölkerung vorgeht«.
Kurz vor seinem Ziel passiert der Demonstrationszug die Joachimstaler Straße. Die dortige Synagoge befindet sich in Sichtweite, in einer Viertelstunde beginnt dort der Schabbatgottesdienst. Ein Teilnehmer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift »I am a Muslim Fighter«. Die Polizei allerdings hat die Straße mit einer großen Zahl Mannschaftswagen komplett abgesichert. Schabbat – nur noch unter Polizeischutz. Das Meer der Palästina-Fahnen zieht weiter zur Abschlusskundgebung auf dem Breitscheidplatz.
Gaza-Flotille Dort steht plötzlich die Bundestagsabgeordnete Annette Groth auf dem Lautsprecherwagen und hält ein Mikrofon in der Hand. Die 60-jährige Linken-Politikerin erlangte vor vier Jahren zweifelhafte Berühmtheit, als sie zusammen mit ihren Parteikollegen Inge Höger und Norman Paech an der von türkischen Islamisten organiserten Gaza-Flotille teilnahm. Sie habe dort »die Brutalität der israelischen Streitkräfte erlebt«, sagt sie nun und fordert, das EU-Israel-Assoziierungsabkommen zu stoppen.
In diesem »schmutzigen Krieg gegen Gaza« würden mit »deutschem Geld« neue Waffen getestet. Investitionen in Konzerne, die mit der israelischen Armee gemeinsame Sache machten, sollten sofort abgezogen werden. Aus dem Publikum ruft ein Mann: »Allahu Akbar!« Wenige Minuten später endet die Kundgebung.