Frau Deutschkron, Sie haben gestern im Bundestag die Gedenkrede in Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus gehalten. Hat sich für Sie damit in gewisser Weise der Kreis geschlossen?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe mich über die Einladung gefreut. Aber ich berichte bereits seit Jahrzehnten über mein Erleben der Schoa. Insofern war das für mich ein Termin wie jeder andere. Übrigens war es für mich auch keine Ehre, vor dem Bundestag sprechen zu dürfen. Es sollte umgekehrt eine Ehre für die Vertreter Deutschlands gewesen sein, dass ich die Einladung trotz allem angenommen habe.
Inwiefern?
Hören Sie, ich habe Deutschland 1972 aus Wut über die Altnazis und die israelfeindlichen 68er verlassen. Ich hatte die Schnauze von Deutschland gestrichen voll. Israel war meine Rettung. Damals saßen selbst in den Ministerien überall noch die alten Faschisten. Wenn ich dagegen etwas sagte, hieß es: Ach, Frau Deutschkron, man muss doch auch einmal vergessen können. Meine gesamte Familie wurde vernichtet! Wie soll ich das je vergessen?
Sie haben das Bundesverdienstkreuz mehrmals abgelehnt. Bleiben Sie dabei?
Auf jeden Fall. Was soll ich mit diesem Ding? Ich möchte keine Auszeichnung erhalten, mit der auch Verbrecher wie Hans Globke ausgezeichnet wurden.
Gestern jährte sich die »Machtergreifung« Hitlers 1933. Wie erinnern Sie sich daran?
Ich höre noch heute die Massen, wie sie Hitler und den SA-Kolonnen zujubelten. Wie die Nazis sangen: »Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut.« Die Schweinehunde haben Wort gehalten.
Warum ist es Ihnen so wichtig, sich als Zeitzeugin zu engagieren?
Wir wissen bis heute nicht genau, wie es zur Schoa kommen konnte. Solange wir das nicht in Erfahrung gebracht haben, kann sich so ein Verbrechen jederzeit wiederholen.
Wie beurteilen Sie die Gegenwart?
Ich habe den Eindruck, dass man sich mit der Schoa angemessen beschäftigt. Über Israel hingegen hört man dafür umso mehr Unsägliches. Kein anderer Staat auf der Welt muss sich so wehren. Davon wollen viele Deutsche aber leider nichts hören. Die Unwissenheit der Israelkritiker wird nur noch von ihrer Selbstgewissheit übertroffen.
Mit der Berliner Journalistin und Autorin sprach Philipp Peyman Engel.