Herr Rabbiner, in der Karnevalshochburg Köln wurde vergangene Woche der Frohsinn symbolisch zu Grabe getragen. Wie fühlen sich Gemeindemitglieder und Rabbiner, wenn sie nun am kommenden Wochenende Purim feiern?
Sehr gut! Denn es heißt: Wenn der Monat Adar beginnt, sollen wir die Freude vermehren. Es ist toll, dass die Mehrheitsgesellschaft indirekt geholfen hat, dass wir gut auf Purim vorbereitet sind.
Wie geht das: Trotz Winterdepression im Adar Freude empfinden?
Der jüdische Kalender ist voller Gegensätze: Aw ist traditionell ein Trauermonat. Im Adar gilt es wiederum, fröhlich zu sein. Für den Aw gibt es viele Regeln, was wir zu tun haben. Im Adar ist das nicht der Fall. Generell gilt, dass der jüdische Mensch auch ohne Regeln fröhlich sein soll, von innen heraus. Und es gibt viele Möglichkeiten, uns und anderen eine Freude zu machen: An Purim sind wir dazu aufgerufen, gute Taten zu vollbringen, indem wir uns um Bedürftige kümmern und uns gegenseitig etwas zum Essen schenken. Das ist ein Weg, innere Freude zu entdecken.
Das Verkleiden am Ende des Winters gehört in vielen Kulturen zur Tradition. Gibt es womöglich auch einen Zusammenhang mit Purim?
Der Brauch, sich an Purim zu verkleiden, hat sicherlich mit dem Aspekt von Freude und Fröhlichkeit zu tun. Ein anderer Grund ist, dass sich G’tt in der Purimgeschichte »versteckt«, sein Handeln nicht unmittelbar erwähnt wird. Masken und Kostüme bringen genau das zum Ausdruck. Ich weiß allerdings nicht, ob das auch etwas mit dem Verkleiden beim Karneval zu tun hat.
Verdrängen die Kostümfeste, bei denen die Megilla-Lesung schon im Krach untergeht, den eigentlichen Inhalt von Purim?
Das kann durchaus passieren, wenn man dem Feiern freien Lauf lässt. Es sollte schon ein bisschen geordnet zugehen. Aber das ist in Deutschland nicht so sehr das Problem. In Israel habe ich es manchmal erlebt, dass zu sehr über die Stränge geschlagen wurde. Das ist nicht Sinn der Sache.
Im Anschluss an den Karneval beginnt die Fastenzeit. Nach jüdischem Kalender wird am heutigen Donnerstag auch gefastet. Ist das Zufall?
Bestimmt. Es gibt keinen Zusammenhang mit dem christlichen Brauch der 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern und unserem Fasten an Taanit Esther. Dies geht vermutlich auf das in der Purimgeschichte geschilderte Fasten zurück. Tatsächlich gibt es eine Diskussion im Talmud, ob das Fasten ein jüdisches Ideal ist. Ob wir überhaupt zur Erhöhung unseres spirituellen und geistigen Potenzials fasten dürfen, wenn es nicht für einen bestimmten Tag halachisch angeordnet ist. Denn das Materielle kann dem G’ttesdienst dienen. Daher sollen wir uns am Schabbat und den Feiertagen an guten Speisen erfreuen.
Mit dem Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln sprach Detlef David Kauschke.