Halle

»Es reicht nicht, nur ›Nie wieder‹ zu sagen«

Bundesaußenminister Heiko Maas Foto: imago/photothek

Auf den Tag genau ein Jahr nach dem judenfeindlichen Anschlag von Halle wird in der Stadt mit verschiedenen Veranstaltungen der Opfer des 9. Oktober 2019 gedacht. Dazu werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erwartet. Ab 12.01 Uhr soll in der Saalestadt für drei Minuten das Leben ruhen und schweigend der Menschen gedacht werden, die getötet, verletzt und traumatisiert worden sind.

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An Anschlagsorten werden Kränze niedergelegt, Gedenktafeln und ein Mahnmal an der Synagoge enthüllt. In der Stadt werden die Kirchenglocken läuten, Menschen in Gotteshäusern beten. Eine Demokratiekonferenz und Aktionen beschäftigen sich mit den Themen Rechtsextremismus und Antisemitismus. In der Ulrichskirche gibt es am Nachmittag eine zentrale Gedenkfeier für die Opfer des Attentats.

WUNDE »Die Wunde, die jener 9. Oktober 2019 geschlagen hat, diese Wunde verheilt – aber es bleibt eine Narbe. Diese Narbe sollten wir nicht verstecken: Sie mahnt uns, sie erinnert daran, wie verletzlich unsere Gesellschaft ist«, erklärte Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos).

Außenminister Heiko Maas bezeichnete rechten Terror als »größte Gefahr für unser Land«. »Inzwischen gibt es alle 24 Minuten in Deutschland eine rechtsextrem motivierte Straftat. Das sind keine Einzelfälle, sondern das ist die bittere rechtsradikale Realität in Deutschland«, sagte der SPD-Politiker.

Jeder Einzelne müsse Rassismus und Rechtsextremismus die Stirn bieten. »Immer nur »Nie wieder« zu sagen, reicht nicht. Wir sind alle gefordert, unseren Teil dazu beizutragen, damit sich in unserem Land alle sicher fühlen – egal woran sie glauben, wie sie aussehen, heißen, leben oder lieben«, sagte Maas.

SCHUTZ Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble verlangte einen wirksameren Schutz von Juden Deutschland. Der CDU-Politiker erinnert am Freitag an den rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge von Halle vor einem Jahr. Er sprach vom »Versuch eines Massenmordes unter zum Gebet versammelten Juden«.

Schäuble wies auch auf den brutalen Angriff auf einen Studenten vor einer Synagoge in Hamburg am vergangenen Sonntag hin. Diese Tat zeige, »dass wir in unserem konsequenten Einsatz gegen gewaltbereiten Antisemitismus und beim Schutz von Juden in unserem Land schnell und deutlich noch besser werden müssen«, sagte Schäuble im Bundestag.

Bundestagspräsident Schäuble sprach vom »Versuch eines Massenmordes unter zum Gebet versammelten Juden«.

VERBRECHEN Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erklärte, der Anschlag von Halle bleibe »ein unfassbares Verbrechen, getrieben von erschütterndem Hass gegen Jüdinnen und Juden«. »Der Nährboden solch schrecklicher Taten sind Hass, Hetze und Verschwörungsmythen voller niederträchtigem Antisemitismus.

Dagegen müssen wir noch konsequenter vorgehen«, betonte die SPD-Politikerin. Der Kampf gegen Antisemitismus werde auch ein Schwerpunkt der Videokonferenz der EU-Justizminister an diesem Freitag sein, kündigte Lambrecht an.

VERFASSUNGSSCHUTZ Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, warnte vor einem »steil ansteigenden Antisemitismus in Deutschland«. »Gerade in den vergangenen zwei Jahren haben Straftaten, auch Gewalttaten, gegen Juden und jüdische Einrichtungen in Deutschland erheblich zugenommen«, sagte Haldenwang dem Berliner »Tagesspiegel« (Freitag). Die Sorgen der jüdischen Mitbürger seien berechtigt, dass sie auf offener Straße Opfer von Anfeindungen bis hin zu gewaltsamen Attacken werden könnten.

Auch Sicht von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hat der rechtsterroristische Anschlag von Halle vor einem Jahr »faktisch alles verändert«. »Die gesamte Sicht auf die gesellschaftliche Situation wurde durch dieses furchtbare Attentat und diese Verbrechen beeinflusst«, sagte der CDU-Politiker »MDR aktuell«. Es würden Maßnahmen ergriffen, dass so etwas »nie wieder« vorkommt.

Jüdische Einrichtungen werden demnach jetzt besser geschützt und jüdisches Leben stärker gefördert. Die Landesregierung habe auch eine Studie in Auftrag gegeben, um die Ursachen des Antisemitismus in Sachsen-Anhalt zu analysieren. Die Erkenntnisse würden in die Bildungspolitik einfließen.

RÜCKBLICK Am 9. Oktober 2019 hatte der schwer bewaffnete Rechtsextremist Stephan B. versucht, die Synagoge in Halle am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zu stürmen und ein Massaker unter 52 Betern anzurichten.

Als ihm dies nicht gelang, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin vor dem Gotteshaus und in einem nahen Dönerimbiss einen 20 Jahre alten Gast. Auf seiner Flucht verletzte der Deutsche mehrere Menschen teils sehr schwer. Gegen den heute 28-Jährigen aus Sachsen-Anhalt läuft am Oberlandesgericht Naumburg der Prozess.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, »aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens« geplant zu haben. Reue zeigte er bisher nicht. Der Mann sitzt in Untersuchungshaft.

HAMBURG In Deutschland hatte zuletzt der Angriff eines Mannes auf einen Studenten vor einer Synagoge in Hamburg im In- und Ausland für Entsetzen gesorgt. Der Deutsche mit kasachischen Wurzeln hatte nach Erkenntnissen der Ermittler den 26-Jährigen aus Judenhass mit einem Klappspaten attackiert und schwer am Kopf verletzt. Nach der Tat wurde in der Hosentasche des Mannes, der eine Militäruniform trug, ein Zettel mit einem Hakenkreuz gefunden. Dem Mann werden versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Der Attentäter von Halle trug einen Kampfanzug, als er mit selbst gebauten Waffen und Sprengsätzen zwei Menschen erschoss, Menschen in Todesangst versetzte und um ihr Leben beten und zittern ließ. Bis heute berichten Menschen davon, dass sie das Trauma noch lange nicht überwunden haben. Zugleich bieten Betroffene als Nebenkläger dem Angeklagten die Stirn und rufen die Gesellschaft zu mehr Engagement gegen Rechtsextremismus und Judenhass auf - an jedem Tag.

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