Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Kevin Barth von der Piratenpartei fragte neulich per Twitter, ob er denn Antisemit sei, nur weil er die »israelische Kackpolitik« und »den Juden an sich« unsympathisch finde. Eine gute Frage, die ihm auch sofort beantwortet wurde. Verantwortungsbewusst wie ein echter Pirat ist Kevin dann auch gleich von seinem Posten als Kreisvorsitzender Heidenheim zurückgetreten.
Es wäre fast traurig, wenn es nicht so lustig wäre. Marina, hilf! Schon Adorno und Horkheimer wussten: Es gibt gar keine Antisemiten mehr, nur Liberale, die ihre anti-liberale Meinung sagen wollen. Weil Antisemitismus durch die Schoa irgendwie diskreditiert wurde, muss er sich verstecken. Gegen alle geht es, nur nie gegen Juden. »Antisemit« ist der schlimmste Vorwurf – aus dieser Ecke kommt niemand raus.
Blut-und-Hoden-Roman Wenn es denn mal so wäre. Der Schriftsteller Thor Kunkel darf vom »philosemitischen Establishment« schwadronieren, weil sein furchtbarer Blut-und-Hoden-Roman »Endstufe« vor ein paar Jahren von vielen ganz richtig als Tendenzliteratur erkannt wurde. Nun hat die Süddeutsche Zeitung sein neues Buch besprochen, positiv.
So schlimm kann die Antisemitismus-Keule also nicht sein. Eine Nummer kleiner: Eine Dozentin meiner Universität verkündete neulich, dass Juden in Österreich und Freud im Besonderen die Bedrohung des Antisemitismus übertrieben darstellten, um ihren Lebensentwürfen vom verfolgten Außenseiter gerecht zu werden. Eben: Alles nur Einbildung, alles nur Wahn. Schließlich sagt die jüngste Studie, dass höchstens 20 Prozent ernsthafte Antisemiten sind. Höchstens.
Es gibt vielleicht einen Unterschied zwischen den ganz knallharten Judenhassern und den einfach nur Bescheuerten. Aber mit dem unreflektierten Ressentiment fängt es an. Das entwickelt sich dann vielleicht weiter zu einer echten, scheinbar intellektuell unterfütterten Ideologie.
Ein Freund, der gerade im gelobten Land, an der Ostküste der USA, ist, schrieb mir begeistert: »Drei Wochen hier und noch nichts passiert! Ich rede ganz offen, und den Leuten ist das total egal. Als ob ich Chinese oder Norweger wäre.« Das hört sich schön an. In Deutschland hat diese behauptete Indifferenz einen vorwurfsvollen Unterton – »Ich stell mich doch auch nicht als Protestant vor!« Hier sind viele über Antisemitismus so dermaßen hinweg, dass sie leugnen, dass es überhaupt Juden gibt.