Mit einer Kampagne gegen Hassrede erinnert die Claims Conference, die sich für die Durchsetzung von Ansprüchen von Holocaust-Überlebenden einsetzt, dass Hasspropaganda im nationalsozialistischen Deutschland dem Massenmord an den europäischen Juden vorausging. Zum Holocaust-Gedenktag YomHaSchoah, der in diesem Jahr auf den 8. April fällt, soll die digitale Kampagne »It started with words« (Es begann mit Worten) deutlich machen, dass der Holocaust nicht aus dem Nichts kam.
Während der 27. Januar international als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus begangen wird, ist »YomHaSchoah« der in Israel begangene Tag des Gedenkens an die sechs Millionen von den Nationalsozialisten ermordeten europäischen Juden.
»Man wacht nicht eines Morgens auf und beschließt, sich an einem Massenmord zu beteiligen«, sagte Greg Schneider, der Vizepräsident der Claims Conference in einer Stellungnahme. »Hassreden, Propaganda, Antisemitismus und Rassismus waren die Wurzeln, die im Völkermord gipfelten.«
Unter den Zeitzeugen aus aller Welt, die in Video-Statements von ihren Erlebnissen berichten, ist auch die in Frankfurt lebende Eva Szepesi. »Die Schoah begann nicht mit Auschwitz«, sagte Szepesi, die im Alter von zwölf Jahren in das deutsche Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde. Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder wurden dort ermordet. »Es begann für mich mit acht Jahren. Ich konnte nicht verstehen, dass meine besten Freunde mir böse Worte zuriefen.«
»Mehr als jemals zuvor finden Worte des Hasses durch die Echoräume der sozialen Medien eine ungehemmte und oft auch unwidersprochene Verbreitung«, betonte Rüdiger Mahlo, der Repräsentant der Claims Conference in Deutschland. »Niemals dürfen wir die Macht der Worte unterschätzen und müssen uns ihrer Folgen bewusst sein.«
»Die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass der Weg vom Wort zur Tat immer kürzer wird«, stellte der Frankfurter Rabbiner Avichai Apel fest. »Das Krebsgeschwür des Antisemitismus wuchert seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie besonders schlimm und vergiftet zunehmend das Zusammenleben in unserer Gesellschaft.« Hassbeiträge in sozialen Medien seien »besonders schlimme Brandbeschleuniger, die das Leben für Juden hierzulande gefährlicher gemacht haben«.
Der »digitale Sumpf des Hasses« müsse ausgetrocknet werden, forderte Apel, der auch zum Vorstand der orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland gehört. »Dazu gehört eine konsequente Strafverfolgung die auch die Betreiber solcher Plattformen zur Rechenschaft zieht, der mutige Einsatz entsprechender Technologien wie Künstliche Intelligenz, um Urheber solcher Hassbotschaften aufzuspüren, die Verpflichtung mit Klarnamen im Netz unterwegs zu sein, aber auch Prävention durch Bildungsarbeit an Schulen.«
Der Frankfurter Magistrat hat unterdessen die Arbeitsdefinition für Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) übernommen, um effektiver gegen dessen Formen von vorgehen zu können. »Judenfeindlichkeit traut sich leider zunehmend aus den Hinterzimmern unserer Gesellschaft wieder offen in die Mitte unserer Gesellschaft, wo genau jene Mitte Gefahr läuft, durch eine gefährliche Gewöhnung an mehr oder weniger subtile Formen antisemitischer Stereotype dabei zuzusehen, wie sich die gesellschaftlichen Grenzlinien verschieben«, erklärte der Frankfurter Bürgermeister Uwe Becker, der auch hessischer Antisemitismusbeauftragter ist.
Es bedürfe nicht noch schlimmerer Angriffe, um festzustellen, dass wir nicht mehr darüber sprechen müssen, wie wir den Anfängen wehren, sondern wie wir dem sich ausbreitenden Antisemitismus entschiedener entgegentreten. Nicht immer komme Antisemitismus leicht erkennbar daher: »Die Buntheit und Vielfalt des Antisemitismus reicht heute vom rechtsradikalen Mob über den intellektuell verpackten Antizionismus, der den Umweg über die sogenannte Israel-Kritik wählt und dennoch beim Antisemitismus ankommt, bis zum kulturell importierten Judenhass.«