Interview

»Ermordet, weil sie Juden waren«

Daniel Cohn-Bendit Foto: imago

Interview

»Ermordet, weil sie Juden waren«

Daniel Cohn-Bendit über antisemitischen Terror in Paris, die Rolle der Medien und die Zukunft der Juden in Europa

von Ayala Goldmann  13.01.2015 10:43 Uhr

Herr Cohn-Bendit, Sie haben die französischen Medien kritisiert, weil nach dem Anschlag auf den Hyper-Cacher-Supermarkt in Paris zunächst nur von vier getöteten Geiseln die Rede war. Wollte man nicht deutlich sagen, dass die Opfer Juden waren?
Das war in der ersten Berichterstattung nach dem Anschlag am vergangenen Freitag der Fall. Aber man muss auch ehrlich zugeben, dass die Wortwahl korrigiert wurde, nachdem einige Juden, darunter auch ich, interveniert hatten. Ich würde sagen, es war Unachtsamkeit. Das Massaker in der Redaktion der Zeitschrift »Charlie Hebdo« zwei Tage zuvor war schon purer Horror, und dann kam die Geiselnahme im Supermarkt am Freitag. Außer ein paar Juden haben die meisten die Dimension dieses zusätzlichen Horrors nicht gleich erkannt. Die Journalisten sind für ihre Ideen gestorben, die Polizisten wurden im Dienst getötet. Aber die Juden wurden umgebracht, nur weil sie Juden waren. Und es hat eine Zeitlang gedauert, bis diese einfache Wahrheit sich in den Köpfen durchsetzte.

Sie haben die Woche des Terrors in Paris miterlebt. Wie ist die Stimmung unter den Juden, die Sie kennen?
Die französischen Juden haben Angst. Viele fragen sich: Sollen wir nicht weggehen? Das heißt nicht, dass sie alle gehen werden. Aber es ist Ausdruck einer bedrohlichen Stimmung. Und die gab es schon, nachdem Mohammed Merah im März 2012 drei Kinder an einer jüdischen Schule in Toulouse umgebracht hatte. In Frankreich werden Juden ermordet. Und das ist eine Angst, die bei jüdischen Familien immer wieder hochkommt.

Wie sehen Sie als jüdischer Europäer ein Szenario vom Exodus der Juden aus Frankreich – oder aus ganz Europa?
Ich bin vielleicht kein Maßstab, denn ich will nicht nach Israel. Ich bin ein Jude der Diaspora. Ich weiß, dass die Alija aus Frankreich nach Israel wächst, das kann ich nur feststellen. Aber das Szenario eines Europa ohne Juden fände ich traurig. Die Mehrheitsgesellschaften sollten sich vor Augen führen, was da gerade passiert. Übrigens steigt auch die Anzahl der kleineren Angriffe auf muslimische Institutionen in Frankreich. Wir leben auf einem Pulverfass. Plötzlich werden in Europa wieder Religionskriege oder ethnische Kriege geführt. Das Gespenst von Jugoslawien flackert im Hintergrund.

Am Freitag erscheint in Deutschland »Unterwerfung« von Michel Houellebecq. In dem Roman wird ein französischer Muslim zum Präsidenten gewählt, um den Sieg der Front National zu verhindern. Realistisch?
Nein. Houellebecq sieht die Identität der Franzosen so geschwächt, dass sie mehrheitlich zum Islam übertreten. Das ist aber eine Wahnvision und bedient nur Ängste.

Glauben Sie, dass die Rechtsextremen vom Terror in Paris profitieren werden?
Im Gegenteil. Millionen Franzosen haben auf den Straßen von Paris gezeigt, dass sie zusammenstehen. Marine Le Pen wird bei 20 Prozent bleiben. Die Republik steht aufrecht.

Mit dem Grünen-Politiker und Publizisten sprach Ayala Goldmann.

Das Ausmalbuch "From the river to the sea" in einer Buchhandlung in Zürich.

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