Das Amtsgericht Braunschweig hat einen Funktionär der rechtsextremen Partei »Die Rechte« wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 2400 Euro verurteilt. Johannes Welge hatte im November 2020 eine Mahnwache unter dem Motto »Freiheit für Palästina – Menschlichkeit ist nicht verhandelbar! Zionismus stoppen!« vor der Synagoge in Braunschweig angemeldet. Die Versammlung sollte zwischen 19:33 Uhr und 19:45 Uhr stattfinden.
Welge ist einschlägig bekannt, war Kreisvorsitzender in Braunschweig und Hildesheim von »Die Rechte«. Der Kreisverband wurde nach einer Razzia der Polizei aufgelöst. Welge gilt als einer der führenden Rechtsextremisten im südöstlichen Niedersachsen.
Anzeige Dass es zum Prozess gegen ihn und der Verurteilung kam, war allerdings keine Selbstverständlichkeit. Die jüdische Niedersächsin Bernadette Gottschalk hatte 2020 Anzeige gegen Welge erstattet und musste sich danach mit der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen, welche anfangs keine Straftat erkennen wollte.
Der »taz« sagte Gottschalk nach dem Prozess, sie sei erleichtert. Für sie habe festgestanden, dass die Zeitangabe für die Kundgebung einen eindeutigen Bezug zur Judenverfolgung und zum Holocaust hatte. Letztlich folgte das Amtsgericht ihrer Einschätzung.
Bereits im Februar machte ein weiterer Fall in Braunschweig Schlagzeilen. Ein weiterer Funktionär von »Die Rechte« hatte Journalisten »Judenpresse, Judenpack, Feuer und Benzin für euch« zugerufen, die Staatsanwaltschaft hatte jedoch das Verfahren wegen Volksverhetzung eingestellt.
»Es sind häufig Jüdinnen und Juden, die Entscheidungen bei antisemitischen Straftaten kritisch hinterfragen.«
felix klein, antisemitismusbeauftragter der bundesregierung
Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig 2021 auf Beschwerden hin reagiert und die Entscheidung aufgehoben hatte, wurde der Fall erneut geprüft. Allerdings stellte die Braunschweiger Staatsanwaltschaft das Verfahren abermals ein und sah keine Volksverhetzung, sondern nur den Straftatbestand der Beleidigung als gegeben an. Im vorliegenden Fall sei aber die Frist für eine Verfolgung bereits abgelaufen.
Beurteilung Felix Klein wollte das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig gegen Welge noch nicht abschließend beurteilen, da die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vorlag. Doch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung sieht Probleme in der bei der Verfolgung antisemitischer Straftaten: »Mit meinen Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern hatte ich in der Bund-Länder-Kommission der Antisemitismusbeauftragten (BLK) festgestellt, dass in der Justiz nicht immer die für die Beurteilung antisemitischer Straftaten erforderlichen Fachkenntnisse vorliegen«, so Klein.
Die BLK habe sich daher dafür ausgesprochen, dass überall in Deutschland innerhalb der Staatsanwaltschaften Antisemitismusbeauftragte eingerichtet werden sollten. »Dies ist«, sagte Klein im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen, »eine wichtige Maßnahme, um das Vertrauen in die Justiz zu stärken.«
Die Strafprozessordnung sehe Möglichkeiten vor, dass einzelne Bürger gegen staatsanwaltschaftliche Entscheidungen vorgehen können. »Dies ist beim Verfahren gegen Johannes Welge der Fall gewesen. Ohne darüber eine Statistik zu führen, sind es nach meiner Einschätzung häufig Jüdinnen und Juden, die Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden bei antisemitischen Straftaten kritisch hinterfragen und hiergegen Rechtsmittel einlegen.«
Wissen Vorbild für eine solche Entwicklung könnte nach Ansicht Kleins die Polizei sein. In einigen Ländern seien dort bereits Antisemitismusbeauftragte eingerichtet worden. »Dadurch soll sichergestellt werden, dass innerhalb der Behörden das Wissen um das Thema gebündelt ist und eine kompetente Auskunftsperson für die Zivilgesellschaft, für jüdische Gemeinden, aber auch bei Fragen der Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung steht.«
Felix Klein hält auch die Juristenausbildung für verbesserungsfähig. Hier ist er bereits tätig geworden. »Im Hinblick auf die Sensibilisierung möchte ich auf die, auf meinen Vorschlag hin geänderte, Ausbildung von Juristinnen und Juristen hinweisen. Diese müssen sich jetzt im Studium sowie im Referendariat mit dem Missbrauch des Rechts in der Zeit des Nationalsozialismus befassen.«
Er erwarte eine erhöhte Sensibilisierung im Justizdienst im Umgang mit Antisemitismus. »Nun geht es darum, dass die entsprechenden Änderungen in der juristischen Ausbildung in den Bundesländern auch umgesetzt werden«, so der Antisemitismusbeauftragte.