Die Namen von 55.696 ermordeten Berliner Juden erklangen am Montag von 9 Uhr morgens bis in den Abend hinein vor dem Gemeindehaus an der Fasanenstraße. Die Namen aller Juden, die im Gedenkbuch des Landes Berlin stehen, wurden vorgetragen. Immer wieder kamen Passanten vorbei, die sich spontan hinters Mikrofon stellten. Alle Berliner waren dazu eingeladen. Wie auch in den vergangenen Jahren beteiligten sich wieder Gemeindemitglieder, Schüler des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn und des Jugendzentrums Olam.
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hatte abends anlässlich des Jom Haschoa und des 81. Jahrestages des Aufstandes im Warschauer Ghetto zur Gedenkveranstaltung in das Gemeindehaus eingeladen. Für Gemeindechef Gideon Joffe stehe das diesjährige Gedenken »ganz unter dem Eindruck des grausamen Massakers der Hamas«. Jüdisches Leben sei seit dem 7. Oktober 2023 »wieder verstärkt weltweit in Gefahr«. Joffe appelliert an den Mut der Mehrheitsgesellschaft, sich für die eigene Freiheit sowie demokratische Werte einzusetzen. Denn dieser Einsatz sei gleichzeitig »der beste Schutz auch für die jüdische Gemeinschaft«. Bei seiner Rede bezeichnete er den 7. Oktober als »brutalsten Tag für Juden weltweit seit der Schoa«.
Worte des Gedenkens sprach auch die Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld (CDU). Sie erinnerte an die Geschichte des Warschauer Aufstands, als 1940 die Nazis 450.000 Juden auf etwas mehr als drei Quadratkilometer zwängten und diese mit einer drei Meter hohen Mauer vom Rest der Stadt abschnitten. Mehr als die Hälfte von ihnen wurde 1942 in das Lager Treblinka deportiert und dort in den Gaskammern ermordet. Als die Deutschen im Januar 1943 eine weitere Deportation durchführen wollten, leistete die Jüdische Kampf-Organisation etwa vier Wochen lang bewaffneten Widerstand. Etwa 13.000 Juden starben während des Aufstandes, Zehntausende wurden anschließend in Vernichtungslager wie Treblinka und Majdanek deportiert. Der Aufstand wurde zum Symbol des jüdischen Widerstands gegen die Nazis.
Aufstand wurde zum Symbol des jüdischen Widerstands gegen die Nazis
Das Gedenken dürfe nicht nur der Erinnerung dienen, es müsse auch Mahnung sein, betonte Seibeld: »Denn insbesondere nach dem 7. Oktober 2023 haben wir in Berlin, in Deutschland, Europa und der ganzen Welt den Antisemitismus neu aufflammen sehen.« Deutschland trage eine besondere, aus der Geschichte erwachsene Verantwortung für die Sicherheit der Juden in Deutschland, aber auch für die Sicherheit und Existenz Israels, so Seibeld.
Auch Berlins Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD), Bischof Christian Stäblein sowie der Gesandte Israels Aaron Sagui und der tschechische Botschafter Tomas Kafka, die alle zur Veranstaltung gekommen sind, hörten aufmerksam zu. Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer zündete die dritte der sechs Kerzen an, die traditionell zu Jom Haschoa brennen. Jede dieser sechs Kerzen steht für eine Million der insgesamt sechs Millionen ermordeten Juden.
Der Abend wurde künstlerisch umrahmt von Schülerinnen und Schülern des Jüdischen Gymnasiums Moses Mendelssohn und der Rabbinerin-Regina-Jonas-Schule. Am Ende der Veranstaltung wurden mehrere Kränze am Mahnmal vor dem Jüdischen Gemeindehaus niedergelegt. Das Kaddisch sprach Rabbiner Yitshak Ehrenberg. Kantor Isidoro Abramowicz stimmte das El mole Rachamim im Gedenken an die Holocaust-Opfer an.
Die Namenslesung wird seit 1996 jährlich veranstaltet.