Die AfD ist nicht nur im Bundestag, sondern auch in vielen Landtagen vertreten. Daher beansprucht die Partei, die von etlichen Beobachtern als rechtsextrem eingestuft wird, auch Plätze in Gremien, in denen es um Gedenken an die Schoa und die Bekämpfung von Antisemitismus geht.
Im Bundestag hat die AfD-Fraktion entschieden, den Abgeordneten Jens Maier in den Beirat des »Bündnisses für Demokratie und Toleranz, gegen Extremismus und Gewalt« zu entsenden. Am Dienstag tagte der neue Beirat – mit dem sogar für AfD-Verhältnisse sehr rechten Politiker. Der hatte vorab auf Facebook angekündigt: »Wir räumen den Laden von hinten auf!«
bergen-belsen Noch weiter ist die Entwicklung, die die AfD in solche Gremien bringt, in Niedersachsen gediehen. Seit Oktober ist die Partei mit neun Abgeordneten im Landtag vertreten. Laut Gesetz über die »Stiftung niedersächsische Gedenkstätten« hat jede im Landesparlament vertretene Partei Anspruch auf einen Vertreter im obersten Stiftungsrat der Gedenkstätten. Der Rat überwacht nicht nur die Arbeit der Geschäftsführung, sondern beschließt über Satzung, Haushalts- und Stellenplan.
Entsprechend groß ist die Sorge gerade bei ausländischen Organisationen von Schoa-Überlebenden. »Der bloße Gedanke, dass ein Vertreter einer Partei, die die zwölf Jahre des Naziregimes wegstreichen will und eine deutlich antisemische Haltung an den Tag legt, in dem Stiftungsrat sitzen wird, bereitet uns Überlebenden und deren Nachfolgern größte Besorgnis«, schreibt die Vertreterin des Vereins französische Holocaust-Überlebender »Amicale des Anciens Déportés de Bergen-Belsen« im Stiftungsbeirat, Janine Marx-Moyse, in einem Protestbrief.
Im Beirat sitzen neben der World Federation of Bergen-Belsen Associations auch der Niedersächsische Verband Deutscher Sinti, Vereine ehemaliger Bergen-Belsen-Häftlinge aus Ungarn und Polen, Irgun Sh’erit Hapleta aus Israel und die französische Stiftung zum Gedenken an die Deportation.
schaden Die Mitgliedschaft der AfD im Stiftungsrat sei geeignet, die Arbeit der Stiftung zu beschädigen, sagt Jens-Christian Wagner, Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. »Die Mitgliedschaft der AfD im Stiftungsrat wäre eine Zumutung für alle, die sich kritisch und geschichtsbewusst mit den NS-Verbrechen auseinandersetzen und die Opfer ernsthaft würdigen, denn in der Partei werden antisemitische, geschichtsrevisionistische und holocaustleugnende Meinungen mindestens toleriert.« Wagner fürchtet sogar, dass ausländische Opferverbände wegen der AfD ihre Mitgliedschaft ruhen lassen oder sogar austreten könnten.
»Wie kann so eine Partei in so einer Stiftung sitzen?«, fragt etwa Jochevet Ritz-Olewski von der israelischen Bergen-
Belsen-Vereinigung Irgun Sh’erit Hapleta mit zorniger Stimme. »Eine Schande.« Ihre Mutter und ihr Vater haben Auschwitz überlebt, sie selbst wurde 1947 in einem DP-Lager geboren. Nun fordert sie, dass Niedersachsen sein Gesetz ändert: »Sie können uns nicht zumuten, mit denen zusammenzusitzen. Das sind wir den Toten und Überlebenden schuldig.« Weil der AfD-Einzug absehbar war, hätte man vorher das Gesetz ändern sollen, kritisiert sie.
Dieses Problem erkennt man mittlerweile auch im Landtag. Soll man das Stiftungsgesetz ändern – nur um die AfD auszugrenzen? Auf jeden Fall will man in der niedersächsischen Politik reagieren. »Dieses Thema wird während der Koalitionsgespräche mit der CDU erörtert«, bestätigte der Braunschweiger Abgeordnete Christoph Bratmann, der für die SPD-Fraktion im Stiftungsrat sitzt.
Die derzeitige Vorsitzende des Rates, die scheidende Kultusministerin Frauke Heiligenstadt, kündigte an, dass sie sich »sehr zeitnah mit den bisher im Stiftungsrat vertretenen Fraktionen dahingehend abstimmen wird«. Aber das bedürfe einer gründlichen Diskussion des neuen Niedersächsischen Landtages, schränkt die SPD-Politikerin ein.
lex afd? Julia Willie Hamburg, Grüne-Landtagsabgeordnete aus Hannover, will sich »dafür einsetzen, dass in enger Abstimmung mit den Überlebenden und Opferverbänden nach dem besten Weg im Umgang mit der AfD gesucht wird«.
Für die AfD sitzt Klaus Wichmann im Landtag, und der Rechtsanwalt aus Verden kann oder will die Bedenken der anderen Fraktionen und der Opferverbände nicht nachvollziehen. »Ich kenne weder in meinem Kreisverband noch im Landesverband Niedersachsen jemanden, der den Holocaust leugnet«, sagt der 52-Jährige.
Michael Fürst, Vorsitzender des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, rät zur Besonnenheit und setzt auf Argumente. »Man sollte das Stiftungsgesetz nicht wegen der AfD ändern«, empfiehlt er und warnt vor einer »unnötigen Aufwertung der Rechtspopulisten durch deren Ausgrenzung«. Der 70-jährige Jurist, seit fast vier Jahrzehnten Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Niedersachsen, betont: »Wir müssen vielmehr mit Argumenten entschieden den AfD-Thesen zur Erinnerungskultur entgegentreten.«
Das Bündnis für Toleranz und Demokratie, dem auch Deidre Berger vom American Jewish Committee angehört, hat auf seiner ersten Beiratssitzung zunächst nur beschlossen, Äußerungen von Jens Maier zu missbilligen. Öffentlich sollte dies jedoch nicht geschehen.