Abschied

Erfolgreicher Abschluss

Alles hat seine Zeit», stellt König Salomon fest; wenn aber diese Zeit gekommen ist, dann fällt es oft schwer, das mit ihr verknüpfte Ereignis zu akzeptieren – so auch in unserem Fall: Zum 1. Dezember dieses Jahres tritt Dieter Graumann sowohl von seinem Posten als Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland zurück als auch von seinem Posten als Mitglied des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.

Seit nahezu zwei Jahrzehnten arbeite ich mit Dieter Graumann in unterschiedlichen Gremien zusammen – eine Zusammenarbeit, die vor allem durch uneingeschränktes, gegenseitiges Vertrauen gekennzeichnet ist. Zu keinem Zeitpunkt bestand jemals ein Zweifel an der Loyalität dem jeweils anderen gegenüber.

grundlagen Bemerkenswert an Dieter Graumann waren für mich seine fundierten Sachkenntnisse in allen von ihm bekleideten Dezernaten sowie Übersicht und Detailwissen auf so unterschiedlichen Gebieten wie Politik, Wirtschaft, Finanzen, Didaktik, Pädagogik und Menschenkenntnis. Ihm vor allem ist es zu verdanken, dass der über Jahrzehnte defizitäre Haushalt der Jüdischen Gemeinde Frankfurt seit vielen Jahren ausgeglichen ist und die Gemeinde seither auf finanziell gesicherter Grundlage steht. Ob im Zentralrat der Juden in Deutschland, ob in seiner Heimatgemeinde: Dieter Graumann hinterlässt ausgeglichene Finanzhaushalte.

Durch die vor allem von ihm mit Stadt, Land und Bund ausgehandelten Verträge wurden für den Zentralrat der Juden in Deutschland, für die Jüdische Gemeinde Frankfurt sowie für weitere jüdische Institutionen solide und dauerhafte Grundlagen für die Zukunft geschaffen. Sein Verhandlungsgeschick ging so weit, dass er einige der schwierigsten Verhandlungen in Vier-Augen-Gesprächen zu erfolgreichen Abschlüssen brachte.

team Bei aller ausgeprägten Individualität und Persönlichkeit: Dieter Graumann war immer ein «Teamplayer», einer, der stets das Ganze, stets das Wohl der jüdischen Gemeinschaft im Blick bewahrt und dabei gleichzeitig die ihm wichtigen Beziehungen auf persönlicher Ebene nie vernachlässigt hat; dies gilt nicht nur für seine privaten Freundschaften, sondern auch für seine Mitarbeiter in Frankfurt, Berlin und anderswo.

Fragt man sie nach ihren Eindrücken und Erfahrungen aus dieser Zusammenarbeit, dann folgt Lob in den höchsten Tönen: Dieter Graumann analysiere Sachverhalte blitzschnell, handele dabei aber nicht vorschnell; er liebe das Detail, verliere aber dabei nie den Überblick über den Gesamtzusammenhang; er habe Visionen und Träume, an deren Verwirklichung er zielgerichtet mit Geduld und Ausdauer arbeite; er fühle mit, könne zuhören und nehme sich für Nöte und Sorgen der Menschen, die sich an ihn wenden, stets ausreichend Zeit.

stegreif Erst seine wegweisenden Vorstellungen von jüdischer Bildung in Deutschland eröffneten die Perspektive zur Gründung einer Jüdischen Akademie; ihm liegt ein starkes, stolzes und selbstbewusstes Judentum am Herzen, insbesondere im Hinblick auf die jüdische Jugend.

Nach meiner Erinnerung hat Dieter Graumann immer frei gesprochen, aus dem Stegreif Reden gehalten und dabei oft humorvoll formuliert. Stets waren seine Reden mitreißend, charmant, teils amüsant, teils aber auch wachrüttelnd und mahnend; über welches Thema er auch sprach: Die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Zuhörer war ihm gewiss. In seinem 2012 erschienenen Buch Nachgeboren –Vorbelastet? finden sich immer wieder prägnante Formulierungen zur Situation der Juden in Deutschland, wie zum Beispiel die folgenden:
«Guter Rat ist teuer – guter Zentral-Rat ist es eben auch (…).»
«Wer sich einsetzt für andere Menschen, entzündet ein Licht in sich selbst.»
«Erst war Walser grässlich. Dann walserte Grass.»
«Reden ist Silber, Handeln ist Gold.»
«Wer braune Flecken toleriert, kann keine weiße Weste behalten.»
Und noch etwas habe ich an Dieter Graumann bewundert und mich gleichzeitig darüber gewundert, woher er, der Vielbeschäftigte, sich die Zeit dafür nehmen konnte: Dieter war und ist ein Bücherverschlinger; ich erinnere mich, dass er jahrelang mit seiner Frau Simone Urlaub in Deutschland und im Ausland verbrachte, ausschließlich um Bücher zu lesen.

wohlgeordnet Die Zusammenarbeit mit Dieter Graumann war für mich immer Freude und Bereicherung. Ohne damit den Eindruck zu erwecken, in die Wortwahl eines Nachrufs zu verfallen: Für mich ist es schwer vorstellbar, wie nach seinem Rücktritt künftig die Arbeit in den Gremien aussehen wird, in denen wir so viele Jahre zusammengearbeitet haben.

Als der amerikanische Dichter Robert Frost am Ende seines von zahlreichen Schicksalsschlägen gezeichneten Lebens nach einer möglichst kurzen Zusammenfassung seiner Lebenserfahrung gefragt wurde, antwortete er, diese Erfahrung in drei Worte fassen zu können: «Life goes on.» Robert Frosts Erkenntnis kann für mich nur eine Feststellung, aber kein Trost sein, wenn nach vielen Jahren erfolgreicher Arbeit für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland Dieter Graumann sich jetzt ins Privatleben zurückzieht. Von Dauer bleibt unsere große Dankbarkeit für all das, was Dieter Graumann herausragend geleistet hat und was er uns wohlgeordnet weiterreicht. Tröstlich bleibt der Gedanke, dass Dieter Graumann noch jung genug ist, um eines Tages wieder in das eine oder andere Gremium der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland zurückzukehren. Wie immer es auch kommen mag – danke, Dieter!

Der Autor ist Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Dieter Graumann wurde 1950 als Sohn von Schoa-Überlebenden in Ramat Gan geboren. Einige Jahre später zog die Familie nach Frankfurt/Main. Graumann studierte Volkswirtschaft, promovierte 1979 und war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Deutschen Bundesbank, bevor er sich mit einem Immobilienunternehmen selbstständig machte. 1995 wurde er in den Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main gewählt, wo er Dezernent für Finanzen, Schule, Kulturarbeit und Presse war. Außerdem war er lange Jahre Präsident von Makkabi Frankfurt. 2006 wurde Graumann Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. 2010 wählte ihn die Ratsversammlung als Nachfolger von Charlotte Knobloch zum Präsidenten des Zentralrats. Dieter Graumann ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Bundeswehr

Kamerad Rabbiner

Seit 2021 sind jüdische Seelsorger großflächig im Einsatz. Der Bedarf ist enorm, die Lage angespannt. Unterwegs mit den Militärrabbinern Oleg Portnoy und Nils Ederberg

von Helmut Kuhn  26.12.2024

Anschlag von Magdeburg

»Radikalisierung mit Extremismusbezügen nach rechts«

Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer verortet Tatverdächtigen im rechtsextremen Spektrum

 24.12.2024

Berlin-Schöneberg

Chanukka-Leuchter umgestoßen

Polizei: Zwei Arme der Chanukkia am Bayerischen Platz beschädigt – der Staatsschutz ermittelt

 24.12.2024

Taleb A.

Was über den Attentäter von Magdeburg bekannt ist

Er galt den Behörden nicht als Islamist, präsentierte sich als scharfer Islamkritiker, kämpfte für Frauenrechte und arbeitete als Arzt. Aber es gab auch eine andere Seite

 23.12.2024

Polen

Staatssekretär: »Würden Netanjahu bei Teilnahme an Auschwitz-Gedenkfeier verhaften«

Eine Auschwitz-Überlebende bringt wegen der polnischen Haltung einen Boykott der Gedenkfeier ins Spiel

 23.12.2024

Umfrage

Vertrauen in den Zentralrat der Juden vergleichsweise hoch

Laut einer Forsa-Umfrage ist das Vertrauen in den Zentralrat der Juden in Deutschland in der Gesellschaft höher als das in die Kirchen

 23.12.2024

Extremismus

Terrorexperte Peter Neumann fordert neue Täter-Kategorie

Nach dem Anschlag von Magdeburg: In Deutschland werde über Terroristen in allzu starren Kategorien gedacht

 23.12.2024

Gastkommentar

Antisemitismus: Lücken im Strafrecht schließen!

Im Kampf gegen Judenhass darf es nicht bei rechtlich unverbindlichen Appellen bleiben

von Volker Beck  23.12.2024

Brandenburg

Bürgermeister Arne Raue: Wechsel zur AfD vollzogen

Damit gibt es einen weiteren hauptamtlichen Bürgermeister der Rechtsaußen-Partei in Deutschland

 23.12.2024