Wahl

Erdogan, 50 plus

Atatürks Erbe: Premierminister Recep Tayyip Erdogan will die Türkei modernisieren. Foto: Reuters

Die Türkei hat gewählt und sich entschieden: Der alte und neue Premierminister heißt Recep Tayyip Erdogan. Seine Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) erhielt fast die Hälfte aller Wählerstimmen, verfehlte jedoch die gewünschte Zweidrittelmehrheit, um im Alleingang eine angestrebte Verfassungsänderung durchsetzen zu können.

Für Erdogan bedeutet der Sieg die dritte aufeinanderfolgende Amtsperiode an der Spitze der Regierung in Ankara. Die 50 Prozent Unterstützung, die sich AKP bei den Wählern holen konnte, war keine große Überraschung. Seine einstmals als islamistisch geltende Partei genießt mittlerweile im Land einen liberalen Ruf. Erdogan hat es ermöglicht, dass die griechisch-orthodoxe Kirche in der Türkei ihren Besitz zurückbekommt und ihre Akademie bald wieder eröffnet. Die Kurden dürfen Radio- und Fernsehsendungen in eigener Sprache empfangen und diese zudem offiziell erlernen.

Auch für die etwa 26.000 Juden im Land sehen die Dinge besser aus, seit die AKP an der Macht ist, sagte kürzlich der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Istanbul. AKP-Chef Erdogan verspricht Modernisierung – eine neue Brücke über den Bosporus ist geplant, seine Regierung bemüht sich um eine bedeutendere internationale Rolle des Landes – vor allem im Nahen Osten, wo sich die Türkei als Beispiel für andere muslimische Gesellschaften präsentiert. Das ist eine Außenpolitik, die auch dem Selbstbewusstsein der Menschen schmeichelt.

gazaflotte Aber gerade während Erdogans letzter Amtsperiode gerieten Ankaras Beziehungen zum ehemaligen engen Partner in der Region, Israel, plötzlich in eine Krise. Anlass war Jerusalems Militäroperation gegen die Gaza-Flottille vor einem Jahr. Man kann aus Erdogans Rhetorik »eine Art Antisemitismus« heraushören, sagt der türkische Politologe Emre Erdogan. Allerdings sei der Premierminister »ein pragmatischer Führer, und die AKP ist eine typische, pragmatische konservative rechte politische Bewegung«.

Dies bedeute, dass – wann immer Erdogan die Stimmen nationalistisch gesinnter Wähler brauche – er es bevorzuge, Israel zu attackieren. Außerdem glaube »die AKP-Führung wirklich an eine Verschwörung zwischen den neokonservativen Kreisen in Washington und einem Imperialismus im Lieberman-Stil seitens Israel gegen die jetzige Regierung« in Ankara. Trotzdem hege die AKP nicht generell gegen alle israelischen Regierungen Vorurteile – schließlich hat man Israels Präsidenten Schimon Peres 2007 im türkischen Parlament empfangen.

Trotz der starken Anti-Israel-Rhetorik Erdogans blühen die Wirtschaftbeziehungen zwischen beiden Ländern. Im ersten Quartal dieses Jahres ist die Türkei zum drittwichtigsten Exportmarkt für den jüdischen Staat aufgestiegen, schreibt die Finanzzeitung Globes. Das heißt, sie kommt gleich nach den USA und den Niederlanden und knapp vor Deutschland. »Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei und Israel werden immer stärker trotz der politischen Konflikte«, bestätigt auch der Vor- sitzende der Tel Aviv & Central Israeli Chamber of Commerce, Uriel Lynn.

Exporte Der bilaterale Handel zwischen beiden Ländern sei um 25 Prozent zwischen 2009 und 2010 gestiegen. In diesem Jahr sind das weitere 40 Prozent, berichtet die Zeitung »Dunya«. Auf der Liste mit türkischen Exporten nach Israel seien auch Schuhe und Uniformen für die Armee.

Populismus Der Politologe Erdogan erwartet von der neuen Regierung in Ankara eine nüchterne Außenpolitik. »Ich glaube, dass die neue türkische Außenpolitik von der Suche nach Handelsbeziehungen und dem Schaffen einer Wirtschaftshegemonie in der Region angetrieben wird.«

Da aber bereits 2013 die nächsten Wahlen im Land anstehen – zunächst Regional-, dann Präsidentschaftswahlen 2014, rechnet der Wissenschaftler damit, dass türkische Politiker außenpolitische Themen weiter für populistische Zwecke zu Hause nutzen werden.

Weimar

Zwischen Halbmond und Hakenkreuz - Wie Muslime der Waffen-SS nach Buchenwald kamen

Ende 1944 erreichen das Konzentrationslager Buchenwald wenigstens zwei Transporte mit muslimischen Gefangenen. Die mehr als 100 Bosnier sind Angehörige der Waffen-SS und in ihrer Heimat desertiert. Bislang ist wenig über ihr Schicksal bekannt

von Matthias Thüsing  23.04.2025

Verschwörungstheorien

Gedenkstätte Auschwitz kämpft gegen Desinformation

Holocaust-Leugner verbreiten ihre Thesen vor allem über das Internet. Mit einer Online-Lektion will die Gedenkstätte im ehemaligen deutschen Konzentrationslager mit Verschwörungsmythen aufräumen

von Doris Heimann  23.04.2025

Schoa

Der erste Schritt zu den Gräueln des Holocaust

Vor 90 Jahren wurde in Dachau das erste Konzentrationslager der Nazis eingerichtet

von Johannes Senk  23.04.2025

80 Jahre nach der Befreiung

Streit um Gedenken in Bergen-Belsen

Die Kinder von Überlebenden werfen den Veranstaltern vor, sie zu boykottieren

 23.04.2025

New York/Tel Aviv

Weltweiter Judenhass erreicht weiterhin alarmierendes Ausmaß

In den USA erreicht die Zahl der durch Antisemitismus motivierten Vorfälle neue Rekordwerte

 23.04.2025

Meinung

Ich habe versagt

Damit sich ein Ereignis wie die Schoa nicht wiederholt, kommt es darauf an, wie wir erinnern. Doch wir sind offenbar dabei, genau das den Falschen zu überlassen

von Sophie Albers Ben Chamo  23.04.2025

Sandbostel

Stumme Zeugen des Grauens

Archäologen fördern verborgene NS-Geschichte zutage

von Dieter Sell  23.04.2025

Berlin

Gewaltbereite Israelfeinde planen Aufzug am 1. Mai

Die Behörden sehen viel Gewaltpotential. Sie wollen Tausende Polizeibeamte einsetzen

von Imanuel Marcus  23.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus ist am Montag im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  23.04.2025