Der Ortsbeirat einer hessischen Gemeinde hat einen Funktionär der rechtsextremen NPD einstimmig zum Ortsvorsteher gewählt. Alle sieben anwesenden Ortsbeiratsmitglieder von Altenstadt-Waldsiedlung, darunter Vertreter von CDU, SPD und FDP, wählten am Donnerstag den stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Stefan Jagsch zum Vorsteher, wie die regionalen Verbände von CDU und SPD am Wochenende bestätigten. Von hessischen Politikern, aber auch aus der Bundespolitik in Berlin, kamen entsetzte Reaktionen.
SPD und CDU forderten, die Entscheidung rückgängig zu machen. Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nannte am Sonntag im »ARD-Sommerinterview« das Entsetzen und die Empörung vollkommen gerechtfertigt. »Ziel ist es, so schnell wie möglich eine Abwahl des jetzt Gewählten zu beantragen, durchzuführen.«
HESSEN Jagsch bezeichnete den Wirbel um seine Wahl als »völlig überzogen und lächerlich«. Die Gemeinde Altenstadt in Mittelhessen hat etwa 12.000 Einwohner, der Ortsteil Waldsiedlung, dem Jagsch nun vorsteht, 2600. Bei der Kommunalwahl in Altenstadt 2016 hatte die NPD zehn Prozent geholt und lag damit vor der FDP mit sieben Prozent.
Das Entsetzen ist groß, in Hessen wie in Berlin.
Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die älteste aktive rechtsextreme Partei. Zwei Anläufe für ein Verbot waren gescheitert. Das Bundesverfassungsgericht stellte in einem Urteil im Januar 2017 aber für die NPD eine »Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus« fest, sie sei verfassungsfeindlich. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat wollen die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließen.
Der CDU-Vertreter Norbert Szielasko, der Jagsch gewählt hatte, sagte dem hr: »Wir sind völlig parteiunabhängig im Ortsbeirat«. Er betonte, der Posten sei bereits seit einigen Wochen unbesetzt gewesen. Auf die Frage, warum Jagsch gewählt wurde, sagte Szielasko: »Da wir keinen anderen haben - vor allem keinen Jüngeren, der sich mit Computern auskennt, der Mails verschicken kann.« Und Szielasko sagte weiter: »Was er in der Partei macht oder privat, dass ist nicht mein Ding, nicht unser Ding.« Im Ortsbeirat verhalte er sich »absolut kollegial und ruhig«.
KANDIDATEN Zwei Abgeordnete von SPD und CDU waren bei der Abstimmung nicht dabei. Nach einem Bericht der Zeitung »Kreis-Anzeiger« gab es keinen anderen Kandidaten. Der bisherige Ortsvorsteher war für die FDP angetreten und hatte im Juni seinen Rücktritt angekündigt.
Die Kreisvorsitzende der CDU Wetterau, Lucia Puttrich, und der Vorsitzende der CDU Altenstadt, Sven Müller-Winter, räumten in einer gemeinsamen Erklärung ein: »Zur einstimmigen Wahl haben leider auch zwei Ortsbeiratsmitglieder beigetragen, die bei der letzten Kommunalwahl über die CDU-Liste als Mitglied und als Nicht-Mitglied in den Ortsbeirat gewählt wurden.«
Jagsch selbst bezeichnet den Wirbel um seine Wahl als überzogen und lächerlich.
Die NPD verfolge nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verfassungsfeindliche Ziele, die Wahl eines Politikers dieser Partei sei »für die CDU unfassbar und untragbar«, erklärten Müller-Winter und Puttrich, die auch hessische Ministerin für Bundes- und Europa-Angelegenheiten ist. Die »falsche Entscheidung« müsse korrigiert worden, wozu bereits Gespräche aufgenommen worden seien.
»Völlig fassungslos« zeigte sich die SPD-Vorsitzende im Wetteraukreis, die Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl. Die NPD falle auch im Kreistag »immer wieder mit ihrer menschenfeindlichen Hetze« auf, erklärte sie. Jetzt müssten alle Konsequenzen geprüft werden.
HALTUNG Auch Bundespolitiker von CDU, SPD und FDP zeigten sich entsetzt. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil schrieb auf Twitter: »Die SPD hat eine ganz klare Haltung: Wir kooperieren nicht mit Nazis! Niemals!« Und: »Die Entscheidung in Altenstadt ist unfassbar und mit nichts zu rechtfertigen. Sie muss sofort rückgängig gemacht werden.
«CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zeigte sich »absolut fassungslos« und sprach von einer »Schande«. Der »Bild«-Zeitung (Montag) und ähnlich dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er: »Ich erwarte, dass diese Entscheidung korrigiert wird.« Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, nannte die Wahl »doppelt schlimm: erstens, dass Demokraten so jemanden wählen; zweitens, dass kein demokratischer Kandidat bereit stand, um die Aufgabe zu übernehmen«.
Jagsch sagte der dpa, es sei erschreckend, dass jetzt Druck ausgeübt werde, um die Wahl zu wiederholen. »Das ist ein Trauerspiel für die Demokratie.« Ihm zufolge kann die Entscheidung nicht einfach rückgängig gemacht werden. Für ein Abwahlverfahren brauche es eine Dreiviertel-Mehrheit und einen triftigen Grund, behauptete Jagsch.
Der bisherige Ortsvorsteher war für die FDP angetreten und hatte im Juni seinen Rücktritt angekündigt.
»Dieser triftige Grund ist meines Erachtens nicht gegeben, da vorher alles offenkundig war.« Deshalb würde er einen solchen Schritt auch juristisch prüfen lassen. Das Innenministerium als Kommunalaufsicht konnte die genannten Voraussetzungen für eine Abwahl am Sonntag zunächst nicht bestätigen.
Jagsch war bereits 2016 schon einmal in die Schlagzeilen geraten. Damals war er mit einem Wagen gegen einen Baum gefahren und schwer verletzt worden. Zwei syrische Asylbewerber hatten den Rechtsextremisten daraufhin aus seinem Autowrack gerettet.