Vor dem Staatsakt für die Opfer der Neonazi-Mordserie hat der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, einen entschlosseneren Kampf gegen Rechtsextremismus angemahnt. Die heutige Gedenkveranstaltung in Berlin solle mehr sein als ein Zeichen der Solidarität und Anteilnahme: »Es müssen konkrete Taten folgen. Denn wir dürfen Antisemitismus und Rassismus keinen Platz mehr gewähren, weder auf politscher noch auf gesellschaftlicher Ebene.«
Dazu gehöre ein Verbot der rechtsradikalen NPD genauso wie das Eintreten gegen rechtsextreme Burschenschaften. Nötig sei ein »demonstratives Bekenntnis und resolutes Einschreiten«, sagte Graumann der Jüdischen Allgemeinen. »Nur so werden wir es schaffen, den Menschenhass und die Gewalt zu besiegen und den Opfern der rechtsextremistischen Gewalt damit den
wahren Respekt zu erweisen.«
Bei der zentralen Gedenkfeier im Konzerthaus am Gendarmenmarkt wurde der Opfer rechter Gewalt gedacht. Im Mittelpunkt standen vor allem die Mordopfer der Zwickauer Terrorzelle. Rund 1.200 Gäste, darunter zahlreiche Hinterbliebene, waren gekommen.
Verachtung Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte in ihrer Rede Mitgefühl und Aufmerksamkeit aller Bürger. Intoleranz und Rassismus äußerten sich keinesfalls nur in Gewalt, sagte Merkel. Gefährlich seien auch diejenigen, »die Vorurteile schüren und ein Klima der Verachtung erzeugen«. Gleichgültigkeit und Unachtsamkeit gegenüber solchen Entwicklungen könnten verheerende Wirkung haben.
Merkel betonte, die Menschenverachtung der rechtsextremen Mörder der Zwickauer Terrorzelle sei letztlich unbegreiflich. Dennoch müsse alles getan werden, damit nicht andere junge Frauen und Männer zu solchen Tätern heranwachsen.
Es sei besonders beklemmend, dass die Angehörigen der Mordopfer teilweise selbst unter Verdacht geraten seien: »Dafür bitte ich um Verzeihung.« Die Jahre vor der Aufklärung müssten ein »nicht enden wollender Albtraum« gewesen sein. Die Morde seien ein Anschlag auf Deutschland und eine Schande für das Land. Merkel versprach, es werde alles getan, was dem Rechtsstaat möglich sei, »damit sich so etwas nie wiederholen kann«.
Gedenkkultur Auch die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, hatte zuvor gefordert, dass es nicht allein beim heutigen symbolischen Akt bleiben dürfe. »Die Gedenkfeier muss ihre Entsprechung auf lokaler Ebene für alle Opfer rechter und rassistischer Gewalt finden. Wir brauchen eine demokratische Gedenkkultur, die ein deutliches Zeichen der Solidarität mit den Opfern rechtsextremer und rassistischer Gewalt setzt.«
»Die Würde der Angehörigen und die klare Empathie der Bundeskanzlerin trugen die Veranstaltung. Das war wichtig, reicht aber nicht aus«, sagte Deidre Berger, Direktorin des American Jewish Committee, nach der Veranstaltung. Für Politik und Gesellschaft sei nun der Zeitpunkt gekommen, »sich schonungslos und aufrichtig zu fragen, wie sichergestellt werden kann, dass jeder in dieser Gesellschaft ohne Angst leben kann«.
Auch die Zivilgesellschaft könne viel mehr Aufmerksamkeit auf diese Problematik lenken, betonte Berger. »Eigentlich darf nichts mehr so sein, wie vor der Gedenkfeier heute – es braucht eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um mehr Sensibilität für Hassverbrechen zu erzeugen. Es braucht gesamtgesellschaftliche Konsequenzen, wenn Minderheiten in einer Demokratie bedroht sind.« ja/epd