Es sind mutige wenn auch späte Schritte des Bedauerns bei einem Gedenken Hunderter Franzosen an eine Nazi-Razzia im Zweiten Weltkrieg: Drei Enkel eines SS-Kommandanten haben sich am Sonntag erstmals an der Gedenkzeremonie an die Deportation von 112 Bewohnern des ostfranzösischen Ortes Pexonne beteiligt, die ihr Großvater, SS-Hauptsturmführer Erich Otto Wenger, 1944 anordnete. Gemeinsam mit den rund 400 Anwesenden nahmen die Enkel an der Kranzniederlegung teil, das Wort ergriffen sie aber nicht. Der Schritt der Enkel stieß auf große Beachtung französischer Medien.
»Wir kommen nicht, um uns zu entschuldigen, wir sind nicht schuldig, aber wir können die Trauer teilen«, sagte Enkelin Anne im Vorfeld der Deutschen Presse-Agentur. Von »einer Geste, so diskret wie möglich«, sprach sie. »Wir teilen euren Schmerz und es tut uns leid.« Mit ihr kamen eine Schwester und ein Cousin zu dem Gedenken.
Zwangsarbeit und Tod Für Dutzende der damals Verschleppten endete die Deportation mit Zwangsarbeit und dem Tod in deutschen Konzentrationslagern. Wenger indes machte nach Ende des Zweiten Weltkriegs beim Bundesamt für Verfassungsschutz Karriere, bis seine Vergangenheit 1963 öffentlich aufgedeckt wurde.
Bereits ihre Mutter habe sich gegen den Vater gekehrt, einen Franzosen geheiratet und dann im Nachbarland gelebt, sagte Anne. Sie selbst wuchs in Frankreich auf und ist dort bis heute zu Hause. In der Schule sei sie wegen ihrer deutschen Herkunft gehänselt worden. »Wir wussten, dass der Großvater ein Nazi war.« Mehr, als dass er in Paris eingesetzt war, hätten sie aber nicht gewusst. »Wir haben Fragen gestellt, aber nicht nachgehakt.« Nach Frankreich sei der Opa nie gekommen, erinnert sie sich.
Ein Cousin habe vor einer Weile begonnen, Nachforschungen anzustellen. Ein Bruder habe dann den Zusammenhang zwischen dem Großvater und der Razzia in Pexonne hergestellt - einer Ortschaft mit aktuell rund 340 Einwohnern westlich von Straßburg.
Nachfahre eines Opfers Die Nachfahren des Täters stießen dann bei ihrer weiteren Suche auf einen Nachfahren eines der Opfer - Guillaume Maisse, dessen Großvater damals im KZ starb und der sich seit 2017 mit einem Verein um das Gedenken an die Razzia kümmert. »Gleich ihre ersten Worte am Telefon waren, dass sie zu einem Gedenken kommen wollen und sich entschuldigen wollen«, sagte Maisse zum ersten Anruf, den er von Anne bekommen habe.
Im Verein sei dieser Wunsch gut aufgenommen worden. Darüber hinaus, das deutete er an, habe es im Ort aber auch Stirnrunzeln gegeben. Sein Vorschlag, angesichts der menschlichen Geste am Sonntag neben der französischen auch die deutsche Flagge zu hissen, sei nicht aufgegriffen worden. Bei dem Gedenken standen die französischen Opfer im Mittelpunkt. So trug eine Frau einen Solidaritäts-Schal mit dem Muster der Häftlingskleidung in den deutschen Konzentrationslagern. Ein rotes Dreieck mit dem Buchstaben »F« stand dabei für politische Gefangene aus Frankreich.
»Vor einigen Jahren hat sich einmal eine deutsche Schulklasse mit der Razzia in Pexonne beschäftigt«, sagte Maisse. Ansonsten habe es aus Deutschland bislang kein großes Interesse speziell an dem Geschehen in Pexonne am 27. August 1944 gegeben. Nach der Befreiung von Paris befanden sich die deutschen Truppen auf dem Rückzug, gruppierten sich in Nancy neu und gingen in der Grenzregion gegen die französische Résistance vor. Unter dem zynischen Codewort »Aktion Waldfest« plünderten und verwüsteten Wehrmacht, SS und Gestapo Orte in Lothringen und deportierten Tausende Menschen. Unter Wengers Kommando rückten Kräfte in Pexonne und in zwei Nachbarorten ein.
Unmenschliche Bedingungen Von den zusammengetriebenen 109 Männern und drei Frauen aus Pexonne wurden die jüngsten zwar bald darauf freigelassen, 9 wurden aber von den Deutschen erschossen, 79 kamen nach mehreren Etappen im KZ Mauthausen an. Dort wurden sie in Rüstungsbetrieben im Umkreis als Zwangsarbeiter eingesetzt. Die unmenschlichen Bedingungen überlebten bis zum Kriegsende nur 18 von ihnen, so Maisse. Für Dutzende Familien stand nach wochenlangem Warten fest: Der Ehemann, Vater oder Angehörige kehrt nicht mehr zurück.
Wenger überstand mit falscher Identität eine vorübergehende französische Kriegsgefangenschaft und britische Internierung. 1950 gelangte er zunächst noch unter dem falschen Namen »Eduard Wolters« zu dem im Aufbau befindlichen Bundesverfassungsschutz, wo er später regulär übernommen wurde und zum Regierungsrat in der Spionageabwehr aufstieg. Erst als die Medien seine NS-Vergangenheit 1963 aufdeckten, war er für den Verfassungsschutz nicht mehr haltbar. Er wurde in eine andere Behörde versetzt. Für sein Tun in Frankreich wurde er nicht mehr zur Rechenschaft gezogen.