Es war der Montag nach den Landtagswahlen, die mit den Erfolgen der rechtspopulistischen AfD die politische Szene in Deutschland verändert haben wie kaum andere Urnengänge zuvor. Trotzdem nahm sich die Bundeskanzlerin – scheinbar ungerührt von den Wahlergebnissen – Zeit für eine Rede, in der sie zum Kampf gegen Antisemitismus aufrief, wo immer er sich zeigt: »Wenn Sportler wegen der Zugehörigkeit zu jüdischen Vereinen Anfeindungen ausgesetzt sind, Hassparolen im Internet kursieren, bei Anschlägen auf Synagogen und jüdische Einrichtungen und bei Israelkritik als Deckmantel für Judenhass«, dann muss gehandelt werden.
An Prominenz und verbalem Einsatz mangelte es nicht bei der dritten Internationalen Parlamentarierkonferenz zur Bekämpfung des Antisemitismus Anfang der Woche im Bundestag. Auch der Außenminister hielt eine Rede, der Bundestagspräsident begrüßte die Teilnehmer, der Bundesjustizminister äußerte sich ebenfalls, und hochrangige EU-Politiker plädierten engagiert gegen Judenhass. Mehr als 100 Abgeordnete aus fast 40 Ländern waren gekommen und berieten drei Tage lang über verschiedene Erscheinungsformen des Antisemitismus in Europa und der Welt.
vernetzung Es war die dritte Konferenz nach zwei Vorgängertagungen 2009 in London und 2012 in Ottawa, organisiert von der International Parliamentary Conference on Combating Antisemitism (ICCA). Die Vereinigung wurde unter anderem von dem britischen Labour-Politiker John Mann gegründet und setzt sich für Gesetzgebung und internationale Vernetzung gegen Antisemitismus ein.
Mehrere Referenten, darunter auch der amerikanische Antisemitismusforscher Alvin H. Rosenfeld von der Universität Indiana, hatten auf konkrete Beschlüsse der Teilnehmer gehofft. Doch zum Schluss einigte man sich nicht auf einen weiteren Forderungskatalog, sondern auf die Einrichtung dreier internationaler Arbeitskreise zu den Themen Hass im Internet, Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft und Antisemitismus im Sport, vor allem im Fußball – die zentralen Themen bei der diesjährigen Tagung.
Die Begründung der organisatorischen Leiterin der Konferenz, Antonia Schmid, lautet: Die Forderungen der Vorgängerkonferenzen von London und Ottawa seien weiterhin aktuell und immer noch nicht in allen Ländern umgesetzt. Es habe daher keine Notwendigkeit bestanden, erneute Beschlüsse zu fassen.
Umfrage Bereits 2009 hatten sich die Parlamentarier besorgt über den »dramatischen Anstieg« antisemitischer Hassverbrechen und Attacken auf Juden und jüdische Einrichtungen geäußert. Gestiegen ist seitdem auch die Angst: Bei einer Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) unter europäischen Juden aus dem Jahr 2013 hatten 76 Prozent der Befragten angegeben, die Situation habe sich in den vergangenen fünf Jahren deutlich verschlechtert. 33 Prozent sagten, sie hätten Angst vor physischen Übergriffen. »Ich befürchte, die Situation hat sich seitdem nicht verbessert. Wir werden diese Umfrage bald wiederholen«, sagte Michael O’Flaherty, Direktor der FRA, am Montag.
Frans Timmermanns, Erster Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Kommissar für Rechtstaatlichkeit und Grundrechtecharta, sagte in seiner Konferenzansprache, es gebe ausreichende Gesetze in der EU gegen Holocaustleugnung, sie würden jedoch nicht überall umgesetzt. »Wir werden uns weiterhin bei der EU dafür einsetzen, dass diese Gesetzgebung in nationales Recht übersetzt wird«, so Timmermanns.
Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sprach sich vor den Parlamentariern für ein entschlossenes Vorgehen von Polizei und Justizbehörden aus. Er verwies auf die Änderung des Strafgesetzbuchs im vergangenen Jahr, wonach fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Straftaten schärfer als früher geahndet werden können.
zentralrat Im Vorfeld der Konferenz in Berlin hatte Zentralratspräsident Josef Schuster in einem Interview gefordert, bei der Konferenz die ganze Bandbreite von Antisemitismus zu benennen, »die von rechtsextremem über muslimischen Antisemitismus bis hin zum vermeintlich verdeckten Antisemitismus in Gestalt unsachlicher Kritik an Israel reicht«.
Diese Bandbreite kam tatsächlich zur Sprache: Dass Antisemitismus heutzutage verstärkt im Gewand des Antizionismus auftritt, ist mittlerweile nicht nur die These von Forschern wie Alvin H. Rosenfeld. »Egal, was das Problem wirklich ist, man kann immer Israel dafür verantwortlich machen. Die meisten Leute, die sich heute als Antizionisten bezeichnen, haben von der Geschichte des Zionismus und seinen vielen Facetten keine Ahnung. Aber sie haben einfach etwas gegen Israel, und viele von ihnen haben auch etwas gegen Juden«, sagte Rosenfeld der Jüdischen Allgemeinen.
Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft war wohl das Thema, das die meisten Teilnehmer bewegte. Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) bezog klar Stellung: Viele Menschen kämen derzeit aus dem Iran, dem Irak und aus Syrien nach Deutschland. Sie hätten in ihrem Leben nichts anderes gehört, als dass Israel der zentrale Übeltäter im Nahen Osten sei. Diese Haltung könne nicht akzeptiert werden: »Wer in Deutschland leben will, wer hier bleiben will, der muss das Existenzrecht Israels anerkennen«, sagte der Bundestagspräsident. Jedem Migranten müsse zudem klargemacht werden: »Wer nach Deutschland kommt, wandert ins Grundgesetz ein – mit allen dort niedergelegten Rechtsansprüchen und auch Pflichten.«
migration Deutliche Worte kamen auch von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, der eine Sitzung zu Antisemitismus in der Migrationsgesellschaft moderierte. Mazyek sagte, der Hinweis von Josef Schuster, in muslimischen Vierteln könne es für Juden teilweise gefährlich sein, Kippa zu tragen, sei »nicht ganz falsch«. Für seinen Hinweis sollten Muslime dem Präsidenten des Zentralrats der Juden »eigentlich dankbar sein«. Mazyek betonte: »Wer Juden abwertet, wertet auch unseren Propheten ab. Wer eine Synagoge angreift, greift Gott an.«
Auch Merkel verteidigte in ihrer Rede Josef Schuster. Es sei »völlig legitim«, wenn der Zentralratspräsident Sorgen äußere angesichts von Menschen, »die mit israelfeindlichen und judenfeindlichen Prägungen aufgewachsen sind«, sagte Merkel. Es gehe um die Sorge, dass die Bilder, mit denen die Menschen aufgewachsen sind, hierher importiert würden.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte am Dienstag, im Rahmen seines OSZE-Vorsitzes wolle sich Deutschland für konkrete Schritte gegen Antisemitismus einsetzen.
aufklärungsarbeit Dass Aufklärungsarbeit mitunter auch unter den Teilnehmern vonnöten ist, zeigte die Frage einer Bundestagsabgeordneten zu Beginn der Tagung, die von der Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin geduldig beantwortet wurde: Ja, es gebe Antisemitismus bei Menschen, die weder Juden noch Israel kennen.
Ja, es gebe auch Antisemitismus, der nichts mit allgemeiner Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu tun hat: »Antisemitismus ist ein geschlossenes Gedankenkonzept.« Und Alvin H. Rosenfeld sagte auf die Frage, ob man Judenhass durch Konferenzen bekämpfen kann: »Wir können damit natürlich nicht die Welt vom Antisemitismus befreien. Wir können aber wenigstens dazu beitragen, dass die Welt Antisemitismus als Skandal wahrnimmt.«
Enttäuscht äußerten sich einige Teilnehmer darüber, dass von den mehr als 40 Bundestagsabgeordneten, die an der Tagung teilnahmen, nur die wenigsten durchgehend präsent waren. Doch das könnte auch mit den Wahlen vom vergangenen Sonntag zusammengehangen haben.