Wird es Bibi oder wird es Boujie? Die Namen klingen niedlich, der Wettstreit um die Wählergunst ist es nicht. In weniger als einer Woche entscheiden die Israelis über ein neues Parlament. Am 17. März stimmen sie darüber ab, wer das Land regieren wird. Ist es wieder Benjamin Netanjahu, den man Bibi nennt? Oder kann Isaac Herzog alias Boujie von der Arbeitspartei ihm das Wasser abgraben? In aktuellen Umfragen liegen sie fast immer gleichauf. Doch viele Wähler sind auch jetzt noch unentschieden.
Nach Umfragen weiß etwa ein Drittel von ihnen heute noch nicht, für wen sie sich entscheiden werden. Die, die das ändern wollen, sind verschiedene Grassroots-Organisationen. Allen voran die Initiative V15 – Victory 15, deren Vertreter von Haus zu Haus ziehen, um den Menschen vorzuschlagen, Netanjahu vom Thron zu stürzen. Eine andere, »Israel will den Wandel«, organisierte am Wochenende eine Demonstration in Tel Aviv, bei der rund 40.000 Menschen lautstark ein Ende der Netanjahu-Regierung forderten.
prioritäten Einer der Sprecher war der ehemalige Geheimdienstchef Meir Dagan. Er sagte: »Wir verdienen eine Regierung mit neuen Prioritäten. Es ist keine Frage von Links oder Rechts. Sondern die eines Weges, einer Vision und eines neuen Horizonts.« Das alles will Isaac Herzog liefern. In einem Exklusivinterview in der Zeitung Haaretz sagte er, dass viele Menschen ihn unterschätzten. Dass er vielleicht manchmal wie »ein Softie rüberkommt, doch viel stärker ist, als die meisten denken«.
Er, der Sohn des sechsten Präsidenten des Staates, Chaim Herzog, will die Wende bringen. Seit Wochen prognostizieren ihm die Umfragen, dass er es schaffen könnte. »Der Wandel liegt in der Luft«, sagt er. »Es geht ein Ruck durch das Land. Mehr und mehr Menschen realisieren, dass die Zionistische Union diese Wahl gewinnen wird und dass ich die nächste Regierung stellen werde. Genauso wie ich in der Vergangenheit überrascht habe, werde ich auch dieses Mal wieder überraschen. Dieser Moment ist meiner.«
Koalitionen Doch es hängt nicht allein von Boujie ab, wer gewinnt. Viele andere Parteien sind im Rennen, und die meisten von ihnen machen ein Versteckspiel daraus, mit wem sie koalieren wollen. Anders als beispielsweise in Deutschland wird Israel nie mit einem Zusammenschluss aus nur zwei Parteien regiert. Meist besteht die Regierung aus einem halben Dutzend oder sogar mehr Gruppierungen, die oft grundverschiedene Interessen vertreten. Häufig sind die auseinanderklaffenden Anliegen der Grund, warum nur die wenigsten Regierungen volle vier Jahre Amtszeit durchhalten.
Zum einen sind da die großen alteingesessenen Parteien Likud auf der rechten Seite und die Arbeitspartei auf der linken. Letztere hat sich für diese Wahl mit der Zentrumspartei Hatnua von Zipi Livni zu dem Bündnis Zionistische Union zusammengeschlossen. In Umfragen bringt es jede Partei auf etwa 23 Sitze.
Sicherheit Netanjahu wähnt sich sicher, dass er wiedergewählt wird und nach sechs Jahren auf dem Chefsessel für weitere vier Platz nehmen darf. In einer Erklärung seiner Partei heißt es, die Bevölkerung wisse, dass nur Netanjahu einen nuklearen Iran und einen Terrorstaat im Westjordanland verhindern könne. Tatsächlich meinen viele: »Bitachon, se Bibi!« – »Sicherheit ist Bibi!« Doch Netanjahu kann nicht allein regieren und muss Allianzen bilden.
Die Partei, die die Wahlforscher an dritter Stelle sahen, war in den vergangenen Wochen mal Jesch Atid von Yair Lapid, mal das Jüdische Haus von Naftali Bennett mit jeweils 12 bis 13 Knessetsitzen. Die eine ist im Zentrum angesiedelt, die andere rechts außen. Seit dem Zusammenschluss der drei arabischen und einer jüdisch-arabischen Partei zur »Vereinten Liste« könnte auch die ein Wort in Sachen Koalition mitreden. Denn die Zionistische Union schließt nicht aus, mit ihr eine Regierung zu bilden. Dass die in einer Rechts-Regierung aus Likud und Bennett sitzen würde, ist allerdings gänzlich unwahrscheinlich.
Der Chef des Jüdischen Hauses, Bennett, sorgt sich darüber, dass es eine Einheitsregierung aus Likud und Zionistischer Union geben könnte. Doch Netanjahu widersprach dem am Wochenanfang: »Wenn ich darauf einginge, würde sie bald zerbrechen. Mein Ziel ist es, eine wahre nationale Union mit dem Likud und unseren natürlichen Partnern zu bilden.« Wen er damit meinte, ließ er offen, doch den meisten ist klar, dass es sich nur um das Jüdische Haus und die religiösen Parteien handeln kann. Der einstige Partner, Avigdor Lieberman und sein Israel Beiteinu, ist seit dem Korruptionsskandal abgeschlagen und dümpelt bei mageren vier Sitzen vor sich hin.
Zentrum Königsmacher könnte allerdings auch einer sein, der erst vor Kurzem wieder auf dem politischen Parkett aufgetaucht ist: Mosche Kachlon mit seiner Partei Kulanu, dem acht bis neun Sitze vorausgesagt werden. Der einstige Likud-Mann siedelt sich im Zentrum an und will bislang mit keinem gemeinsame Sache machen. Ein Bündnisangebot von Netanjahu schlug er aus, und nun sagte er sogar zu Lapid: »Nein, danke«.
Wer die Regierung bilden will, muss mindestens 61 der 120 Knessetsitze zusammenbekommen. Für dieses schlichte Rechenexempel können auch kleine Parteien ausschlaggebend sein. Schas mit ihren sechs bis sieben Sitzen oder die ultraorthodoxen Parteien der Aschkenasen etwa. Auch die linke Meretz, der fünf Sitze vorausgesagt werden, könnte das Zünglein an der Waage sein.
Präsident Doch letztendlich könnte es ein ganz anderes Kriterium geben: den Präsidenten persönlich. Denn er ist es, der bestimmt, wer die Regierung zusammenstellt. Für gewöhnlich ist das der Vorsitzende der Partei mit den meisten Stimmen. Doch es ist nicht immer so. Wie im Jahr 2009, als Zipi Livni mit ihrer Kadima mehr Stimmen erhielt als der Likud. Da sie nicht in der Lage war, eine Regierungskoalition auf die Beine zu stellen, erhielt Netanjahu den Auftrag.
Es könnte somit durchaus sein, dass das Staatsoberhaupt Reuven Rivlin die großen Parteien zwingt, eine Einheitsregierung zu bilden, wenn die Sitzverteilung nahezu gleich ist. »Denn das ist der Wille des Volkes.« Die jüngsten Statistiken zeigen genau das: ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Likud und der Zionistischen Union. Wird es Bibi? Wird es Boujie? Oder vielleicht Bi-Boujie, wie Kritiker eine Einheitsregierung schon heute höhnisch bezeichnen? Bis zum kommenden Dienstag, wenn die Israelis ihre Zettel in die Urnen stecken, müssen sie sich noch darin üben, worin sie nicht unbedingt stark sind: Sawlanut – Geduld.