Die Befreiung israelischer Geiseln aus der Hamas-Hölle – kann man sie nur bejubeln? Scheinbar ja, anscheinend nein. Der Schein trügt. Nur Israel und die große Mehrheit der jüdischen Welt jubeln. Zu Recht. Doch auch in Israel mischt sich bei nicht nur fühlenden, sondern auch in die Zukunft denkenden Bürgern, Militärs und Politikern in den Jubel große Sorge.
Zum einen um das Schicksal der übrigen lebenden und die erhoffte Rückführung der ermordeten Geiseln, um diese würdig in der Heimat beerdigen zu können. Zum anderen um die Auswirkungen auf den rein militärischen Fortgang des Gaza-Krieges sowie den alles andere als erwünschten Fortbestand der Hamas. So weit zum »scheinbar ja«.
Zum »anscheinend nein«, also der Tatsache, dass der jüdisch-israelische Jubel keineswegs dem national-deutschen, kontinental-europäischen oder gar dem globalen Gesamtbild entspricht, je ein Beispiel für viele andere: Bereits am 8. Juni, dem Tag der Befreiung, hob die (wie fast immer zumindest unterschwellig anti-israelische) Tagesschau um 20 Uhr – das »Flaggschiff« dieser Redaktion – hervor, dass bei der Befreiung nach palästinensischen Angaben etwa 200 und, israelischen Meldungen zufolge, deutlich weniger palästinensische Zivilisten umgekommen seien.
Das Signal ist klar: vier Befreite, 200 Tote. Schuld: Israel
Das Signal ist klar: vier Befreite, 200 Tote. Schuld: Israel. Nebenbei erwähnt wurde: Das Versteck der Geiseln sei »umgeben von Zivilisten« gewesen. Formal war damit die Tagesschau »aus dem Schneider«.
Die Bedeutung für jedwede Bewertung und die entscheidende Erklärung dieser Tatsache fehlten. Weil und indem die Hamas die Geiseln in zwei getrennten Wohnhäusern von Zivilisten versteckt hatte – jeweils in der ersten und dritten Etage –, war der etwaige Tod der eigenen Bevölkerung in den Gebäuden sowie um die beiden Gebäude Teil des militärischen Kalküls.
Das Blutbad am eigenen Volk hatte die Hamas vorprogrammiert. Ebenfalls vorprogrammiert – und propagandistisch erfolgreich realisiert – war der zynische Missbrauch an diesem selbstverschuldeten Blutbad. Die Berichterstattung der Tagesschau und ihrer Korrespondenten war demnach – wieder einmal – bestenfalls unprofessionell. Bezogen auf Israel ist das – nach dem Ausscheiden von Richard C. Schneider – seit Jahrzehnten eher die Regel als die Ausnahme.
Auf nützliche Idioten in Politik und Medien kann die Hamas sich verlassen.
Für den nicht nur von der Tagesschau gewollten oder aus Unprofessionalität ungewollten PR-Erfolg der Hamas sorgte als erster nützlicher Idiot (oder aus Israel-Hass?) der EU-Außenbeauftragte Borrell, seit jeher demonstrativ israelfeindlich. Zwar begrüßte er zunächst die Befreiung der Geiseln, schrieb aber später: »Das Blutbad muss sofort beendet werden.« Klartext: Da »nur« ein israelischer Offizier umkam, war Israel am Blutbad schuld. Ja, ein Blutbad, aber wer war der Verursacher? Das sonst zu Recht bedachte Verursacherprinzip – ungedacht, unerwähnt.
Die globale Organisation schlechthin ist die UNO. Deren Sonderbeauftragte für die besetzten Gebiete Palästinas war der zweite nützliche Idiot der Hamas. Francesca Albanese »wusste« es (aus Israel-Hass?) ganz genau: »Das ist die Umsetzung einer genozidalen Absicht in die Tat. Glasklar.« Sie scheint nicht zu wissen, was ein Genozid, Völkermord, ist. 200 Tote – entsetzlich. Aber kein Völkermord.
Wir erkennen: absolute Maß- und Ahnungslosigkeit, blanker Hass auf Israel
Wir erkennen: absolute Maß- und Ahnungslosigkeit, blanker Hass auf Israel. Was kann man von den »Massen« weltweit erwarten, wenn selbst ihre zu Unrecht so genannten Eliten so viel demonstrativen Israel-Hass und Unwissen verbreiten? Jenseits ihrer emotionalen Hochstimmung nach der Geiselbefreiung argumentieren israelische Sorgenträger zu Recht: Insgesamt sieben Geiseln wurden während des Krieges vom israelischen Militär befreit.
Die Hamas hält immer noch 120 gefangen, tot oder lebendig. Sie militärisch zu befreien, ist kaum möglich. Bleibt nur eine politisch (v)erhandelte Freilassung. Diese wiederum würde eine Zementierung des Hamas-Terrors nach außen (Israel) und innen (gegenüber dem palästinensischen Zivil) bedeuten.
Konsens, ja, Konsens besteht in Israel ausnahmsweise (!) darüber, dass eine Fortdauer der Hamas-Herrschaft nach dem Krieg inakzeptabel sei. Daraus folgt dieses Dilemma: Dieses strategische Kriegsziel ist – allen gegenteiligen Ankündigungen und Selbstverpflichtungen von Politik und Militär zum Trotz – unerreichbar, wenn man die Freilassung aller Geiseln anstrebt.
Militärisch-taktisch und militärisch-strategisch
Auch militärisch-taktisch erschwert das Ziel der vollständigen Geiselfreilassung das militärisch-strategische Kriegsziel. Warum? Weil die Hamas alle zivilen Einrichtungen militärisch missbraucht: Wohnhäuser, Schulen, Kliniken oder am liebsten, wegen ihrer Kooperationsbereitschaft, UNRWA-Einrichtungen.
In diesen scheinzivilen Gebäuden könnten weitere Geiseln gefangen sein. Jedweder Beschuss jener »zivilen« Ziele würde erneut palästinensische Zivilisten, wie von der Hamas gewollt, in den Tod reißen. Aber eben auch die israelischen Geiseln. Weltpolitisch wäre wieder Israel »schuld«, denn auf Borrell, Albanese und andere nützliche Idioten ist Verlass.
Wer wirklich ein Ende des Blutbads will, müsste die Hamas auffordern, die Geiseln unverzüglich freizulassen. Israel könnte nicht dem globalen Druck widerstehen, den Krieg zu beenden. Doch warum sollte die Hamas sich selbst schwächen? Im Westen gibt es in Politik und Medien zuhauf nützliche Idioten, auf die sich die Terroristen verlassen können. Der ethische Kompass der zivilisierten Welt ist nicht nur Israel und Juden gegenüber defekt. Schafft sich die zivilisierte Welt, allen voran die westliche, selbst ab?
Der Autor ist Historiker, Publizist und Verfasser unter anderem von »Eine andere Jüdische Weltgeschichte« und »Wem gehört das Heilige Land?«.