Krieg

Ende der Neutralität?

Natan Sharansky ist sauer und auch peinlich berührt. Vergangene Woche war der einstige Dissident in der Sowjetunion und spätere israelische Minister und Chef der Jewish Agency for Israel in der ukrainischen Hauptstadt. Dort traf sich der in der Ostukraine gebürtige Sharansky zum Vieraugengespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Dieser fordert seit Langem ein größeres israelisches Engagement für sein Land. Israels Neutralität, wetterte Selenskyj, habe sogar die Partnerschaft Russlands mit dem iranischen Regime befördert. Unter anderem will die Ukraine, dass Jerusalem dem Land Waffen liefert. Besonders an dem einzigartigen israelischen Luftabwehrsystem hat die Führung in Kiew Interesse bekundet.

Seit Beginn des Krieges seien aus aller Welt führende Politiker nach Kiew gepilgert, um mit Selenskyj zu sprechen und ihm Unterstützung anzubieten. Nur Israel habe bislang niemanden geschickt. »Das ist wirklich beschämend. Treffen für Treffen ist die Enttäuschung über Israel riesig«, erklärte Sharansky israelischen Medienberichten zufolge nach seinem Treffen mit Selenskyj. Die noch amtierende Regierung von Ministerpräsident Yair Lapid hat zwar humanitäre Hilfe für die Ukraine bewilligt – unter anderem ein Feldlazarett. Waffenlieferungen hat sie aber bislang ausgeschlossen. Dennoch scheint Bewegung in die Debatte zu kommen. Selenskyj selbst äußerte sich in den letzten Tagen merklich wohlwollender über Israel und sprach sogar von einem positiven Trend: »Nach einer langen Pause sehe ich, dass wir uns vorwärts bewegen.«

IRAN Der Grund ist offenbar, dass Jerusalem Kiew neuerdings mit Geheimdienst­informationen über iranische Drohnen-Aktivitäten versorgt. Allerdings werden israelische Waffenlieferungen weiter ausgeschlossen, wofür vor allem der Wunsch, die Beziehungen zu Russland nicht noch weiter zu verschlechtern, ursächlich ist.
Moskau ist ein enger Verbündeter des syrischen Diktators Assad und kontrolliert den Luftraum über Syrien.

Bislang erlaubt der Kreml der israelischen Luftwaffe, gelegentlich Einsätze gegen Ziele in Syrien zu fliegen und so iranische Waffenlieferungen an israelfeindliche Kräfte wie die Hisbollah zu verhindern. Angesichts der zunehmenden Zusammenarbeit zwischen Moskau und Teheran und dem Einsatz iranischer Kampfdrohnen durch Russland in der Ukraine erscheint es aber fraglich, wie lange der direkte Draht Israels zu Russland noch bestehen bleibt.

Israel müsse endlich »die richtige Seite wählen«, fordert Selenskyj.

Yair Lapid deutete vergangene Woche einen vorsichtigen Kurswechsel an. Die russisch-iranische Kooperation stelle eine »Gefahr für die ganze Welt dar«, sagte er in einem Telefonat mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba. Konkrete Konsequenzen daraus nannte Lapid aber nicht.

Doch Selenskyj sieht offenbar Chancen für einen Durchbruch. In einem Redebeitrag für eine von der Tageszeitung »Haaretz« organisierte Tagung ging der ukrainische Staatschef auf die israelischen Bedenken ein. Russland habe seine militärische Präsenz in Syrien mittlerweile »deutlich reduziert«, weil die Truppen im Kampf gegen die Ukraine benötigt würden, sagte er.

mithilfe Anfang dieser Woche gab er dann dem israelischen Fernsehsender »Keshet 12« ein ausführliches Interview. Darin erneuerte er seine Forderungen nach Lieferungen von Luftabwehrsystemen. Die Frage, ob er auch in Washington um Mithilfe gebeten habe, um die Regierung in Jerusalem umzustimmen, bejahte Selenskyj.

Zwischenzeitlich habe Israel zugestimmt, die von der Ukraine geforderten Funksysteme zu liefern, wobei die Einzelheiten weiter unklar seien. Im Hinblick auf den israelischen Raketenschirm »Eiserne Kuppel«, der vor allem bei der Abwehr von Geschossen aus dem Gaza­streifen seine Wirksamkeit unter Beweis gestellt hat, sei die Ablehnung in Jerusalem dagegen weiter eindeutig, so Selenskyj.

Er habe schon vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar bei verschiedenen israelischen Regierungsmitgliedern zu diesem Thema vorgesprochen. Es gehe hier nicht nur um finanzielle oder militärische Unterstützung, sagte der ukrainische Staatschef, der selbst jüdisch ist. Israel müsse in dem Konflikt auch »die richtige Seite wählen«.

AUFRUF So sehen das auch viele in der jüdischen Gemeinschaft der Ukraine. In einem Aufruf von mehr als 100 prominenten ukrainischen Juden, der Ende vergangener Woche veröffentlicht wurde, heißt es: »Die passive Haltung der israelischen Regierung mit ihrer Pseudo-Neutralität, die nur dem Aggressor zugutekommt, wirft immer mehr Fragen auf.«

Zwar sei man sich der Sicherheitsbedenken, von denen sich die israelische Politik leiten lasse, durchaus bewusst. »Wir sind jedoch der Meinung, dass die Logik, die zur kriminellen Untätigkeit der Regierung geführt hat, nicht nur unmoralisch, sondern auch nicht gerechtfertigt ist. Der Wunsch, Russland nicht zu verärgern, unterscheidet sich nicht von den Versuchen, Terroristen zu beschwichtigen. Sowohl die Ukraine als auch Israel sind sich der Gefahren eines solchen Verhaltens wohl bewusst.« Der Appell endet mit dem Satz: »Nehmen Sie Ihren Platz auf der hellen und gerechten Seite der Geschichte ein.«

Reaktionen

Freund und Bruder Franziskus – Juden verabschieden sich vom Papst

Mit Wärme und Respekt würdigen Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und weltweit den Papst. Nicht immer war das Verhältnis von katholischer Kirche und Judentum aber einfach, etwa nach dem 7. Oktober 2023

von Leticia Witte  21.04.2025

Reaktionen

»Mit Papst Franziskus ist ein Freund der jüdischen Gemeinschaft von uns gegangen«

Der Zentralrat der Juden würdigt Papst Franziskus, der am Montag im Alter von 88 Jahren gestorben ist

 21.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus ist am Montag im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  21.04.2025

Vatikan

Papst Franziskus ist tot

Das Oberhaupt der katholischen Kirche starb einen Tag nach dem Ostersegen

 21.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  20.04.2025

Meinung

Wenn deutsche Ex-Diplomaten alle antiisraelischen Register ziehen

Deutschland darf nicht länger schweigen? Eine Erwiderung von Daniel Neumann auf den vielsagenden »FAZ«-Gastbeitrag ehemaliger Botschafter

von Daniel Neumann  18.04.2025

Einspruch

Niemals vergessen!

Eva Umlauf will nicht hinnehmen, dass immer mehr Deutsche einen Schlussstrich unter die NS-Zeit ziehen möchten

von Eva Umlauf  18.04.2025

Essay

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Kommentar

Bis zuletzt wollte Mustafa A. aus Lahav Shapira einen Täter machen

Dem Täter tue es leid, dass sein Angriff »instrumentalisiert wird, um jüdischen Bürgern Angst einzuflößen«. Ein unverfrorener Satz

von Nils Kottmann  17.04.2025