Fast zwei Stunden lang war Elon Musk auf Sendung: Der Eigentümer der Kurznachrichtenplattform X (früher Twitter) äußerte sich zu Antisemitismus, Meinungsfreiheit und seinem Streit mit jüdischen Organisationen wie der Anti-Defamation League (ADL).
Moderator Ben Shapiro, konservativer Journalist, Ex-Chefredakteur der Meinungsseite »Daily Wire« und orthodoxer Jude, war Musk recht wohlgesonnen. Auch einige prominente Juden, darunter Israels früherer Staatspräsident Reuven Rivlin, der US-Jurist Alan Dershowitz und der Rabbiner Shmuley Boteach, waren der Diskussion mit dem Multimilliardär in einem »Space« zugeschaltet, der am Donnerstagabend deutscher Zeit auf X gestreamt wurde.
JÜDISCHE WERTE Gleich zu Beginn schmierte Elon Musk seinen Mitdiskutanten Honig ums Maul, bezeichnete sich als »aspirationally Jewish«, einen aufstrebenden Juden also, und als jemand, der sich mit »jüdischen Werten« identifiziere. »Die Juden sind nicht nur das Volk eines Buchs, sondern vieler Bücher.« Auch er sei ein Büchernarr, fügte Musk an. Die meisten seiner Freunde seien jüdisch. »Man möchte mehr davon haben«, erwiderte er auf eine Bemerkung von Boteach, es gebe nur 14 Millionen Juden in der Welt und damit nicht mehr als vor dem Zweiten Weltkrieg, als es noch rund 16,6 Millionen waren.
Rabbiner Boteach zeigte sich wohlwollend und suggerierte sogar, Tesla-Chef Musk habe mit seinen Elektro-Autos einen wichtigen Beitrag zum Friedensprozess im Nahen Osten geleistet. Denn ölexportierende Länder wie Saudi-Arabien würden durch den Aufstieg der Stromer geschwächt und müssten sich auf die neuen Gegebenheiten einstellen.
Als der ehemalige Sowjet-Dissident Natan Sharansky von Musk wissen wollte, wie man dem zunehmenden Antizionismus begegnen könne, sagte der X-Chef, er sei sehr »für den israelischen Staat« und die »Vorstellung, dass Israel nicht existieren sollte, ist offensichtlich absurd und empörend und eins der antisemitischsten Dinge, die man sagen kann.« Auf eine strengere Marschroute gegen israel- und judenfeindliche Hassbotschaften auf seiner Plattform wollte sich Musk jedoch nicht festlegen lassen – und begründete dies auch mit der von der US-Verfassung garantierten Redefreiheit. »Es hat einen gewissen Wert, nicht allzu drakonisch zu sein«, sagte er.
ROTE LINIEN Statt Löschungen und Sperren setzt Elon Musk auf »Gegenrede« und Gegenargumente. In Alan Dershowitz fand er einen Fürsprecher: »Ich rate Ihnen: Hören Sie nicht auf die Kritiker, die rote Linien ziehen wollen. Man kann nämlich keine rote Linien gegen Hassrede ziehen.« Was für den einen Hassrede sei, sei für andere das genaue Gegenteil, so der 85-jährige emeritierte Harvard-Professor, der sich selbst als einen liberalen Linken ansieht, aber vor einiger Zeit auch Donald Trump gegen Kritik in Schutz genommen hatte.
In der Sache zeigte Musk sich unnachgiebig. Auch seine Kritik an der ADL (»Die haben definitiv Einfluss auf Werbekunden, das kann ich Ihnen sagen«) nahm er nicht zurück. Er gab sich aber offen für den Vorschlag, Dinge, die zwar problematisch, aber rechtlich noch zulässig seien, künftig in der Reichweite zu beschränken. Antisemitismus sei in den letzten Monaten auf seiner Plattform zurückgegangen und nicht etwa gestiegen, wie Studien behauptet hätten. Belege dafür nannte er aber nicht.
Im Laufe der Diskussion ging es häufig um Links und Rechts und darum, wer sich denn nun ändern müsse. Musk müsse sehr aufpassen, dass er und seine Plattform nicht in die rechte Ecke gestellt würden, sagte Dershowitz. Er appellierte an den Unternehmer: »Sie müssen als jemand aus der Mitte wahrgenommen werden. Alles sollte darauf ausgerichtet sein, einen Marktplatz der Ideen zu schaffen«. Zuvor hatte Musk es noch als eines seiner Ziele bei X ausgegeben, die Linke etwas mehr in Richtung Mitte zu bewegen.
AUSCHWITZ-BESUCH Etwas verwunderlich erschien, dass X-Eigentümer im Gespräch mit neun Juden ausgerechnet einen Satz aus dem christlichen Neuen Testament als seine persönliche Maxime ausgab und Jesus mit den Worten zitierte: »Die Wahrheit wird euch frei machen.«
Auf einen Besuch in Auschwitz-Birkenau, zu dem ihn Rabbiner Menachem Margolin einlud, wollte Elon Musk sich zuerst nicht festlegen lassen. Er sei sich »all den schrecklichen Dingen«, die in der Zeit der Schoa passiert seien, sehr wohl bewusst. »Ich muss nicht Auschwitz besuchen, um es zu verstehen. Ich habe es verstanden.« Nach einer kurzen Denkpause schob er dann aber nach: »Betrachten Sie es als ein vorläufiges Ja.« Er werde bei seinem bevorstehenden Besuch in Berlin versuchen, auch den Termin wahrzunehmen.
Musk verwahrte sich entschieden gegen den Vorwurf des Antisemitismus. Sein jüdischer Biograf Walter Isaacson, der ihn zwei Jahre lang begleitet habe, habe schließlich auch keine Beweise für Antisemitismus finden können, witzelte er.
Die frühere Knesset-Abgeordnete Michal Cotler-Wunsh, die vor Kurzem zur israelischen Beauftragten für den Kampf gegen Antisemitismus weltweit ernannt wurde, kam in der Runde nicht zu Wort. Grund waren offenbar technische Probleme. Cotler-Wunsh war als einzige Frau von Shapiro eingeladen worden. Auch die Auswahl der zumeist konservativen jüdischen Vertreter hatte im Vorfeld der Sendung für Stirnrunzeln gesorgt.
ZUWANDERUNG Seinem Faible für Verschwörungstheorien will Elon Musk offenbar nicht abschwören. »Uns gehen die Verschwörungstheorien aus, die sich nicht als wahr herausgestellt haben«, witzelte er. Fast zeitgleich verbreitete der 52-Jährige selbst eine auf seinem X-Account, dem knapp 160 Millionen Menschen folgen. Ob die Öffentlichkeit in Deutschland eigentlich wisse, dass aktuell acht Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer unterwegs seien, um dort illegale Einwanderer einzusammeln und sie nach Italien zu bringen, fragte er - und postete einen Beitrag einer rechten Gruppe, in dem auch zur Wahl der AfD aufgerufen wird.
Während deren Parteivorsitzende Alice Weidel Musk in einer Antwort auf Englisch beipflichtete (»Die Menschen sind sich dessen nicht bewusst. Die regierungsfreundlichen Medien in Deutschland berichten lieber über den ›Klimawandel‹ und die ›letzte Generation‹) und Weidels ehemalige Co-Vorsitzender Jörg Meuthen Musk nach Brüssel einlud, beantwortete das Auswärtige Amt Musks Frage so: »Ja. Man nennt das Rettung von Menschenleben.«
Der X-Chef legte umgehend nach: »Ihr seid also tatsächlich stolz darauf. Das ist interessant. Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass die Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit so etwas unterstützt. Habt ihr eine Umfrage durchgeführt? Ist es nicht eine Verletzung der Souveränität Italiens, wenn Deutschland eine große Zahl illegaler Einwanderer auf italienischen Boden bringt? Das hat etwas von Invasion…«
In einer zweiten Antwort an einen ihm eigentlich freundlich gesinnten User schrieb Musk am Sonntagabend, er habe keine Ahnung, was die AfD eigentlich sei und fragte rhetorisch, ob man lieber ihm oder der »bs«(Bullshit)-Presse glauben schenken wolle. »Ich habe lediglich gefragt, ob sich die deutsche Öffentlichkeit darüber im Klaren ist, dass ihre Steuereinnahmen dazu beitragen, den Transport einer großen Zahl illegaler Einwanderer nach Italien zu finanzieren. Das scheint mir nicht in Ordnung zu sein.«