Trauer und Wut bei den Hinterbliebenen - ein breites Grinsen beim Angeklagten: Das Video, das der Terrorist vom Anschlag in Halle während der Tat ins Internet gestreamt hat, wurde am zweiten Prozesstag vor Gericht abgespielt.
Einige Nebenkläger, Verletzte und Hinterbliebene verließen am Mittwoch den Raum, während Richterin Ursula Mertens das gut halbstündige Video vorspielen ließ. Betroffene hielten sich die Augen zu, schauten weg oder hielten die Hand ihrer Sitznachbarn und Anwälte.
DÄMLICH Stephan B. lächelte zunächst als er auf den Monitor blickte. Die Nebenklage machte einen im Saal sitzenden psychologischen Gutachter auf seine Reaktion aufmerksam. »Ich habe über ein, zwei Sachen schmunzeln müssen, dämliche Witze, nicht mehr«, sagt der 28-Jährige später.
Das einzige, was er zu Bedauern scheint, ist, dass die beiden Menschen, die er tötete, weder Juden oder Muslime noch Ausländer waren.
Überhaupt wirkte der Beschuldigte am zweiten Verhandlungstag gut gelaunt. In Pausen plaudert er grinsend mit seinen Verteidigern oder lässt seine Blicke durch die Reihen der Nebenkläger schweifen. Auch der Hinweis der Bundesanwaltschaft, dass er womöglich den Rest seiner Tage hinter Gittern verbringen wird, bringt ihn augenscheinlich nicht aus der Ruhe. Die Zeugin Christina Feist, eine von 43 Nebenklägern, beschreibt
das Auftreten von Stephan B. vor Gericht gestern als »eiskalt und
berechnend«.
VERGEBUNG? Auch von Reue ist weiterhin nichts zu spüren. Das einzige, was er zu Bedauern scheint, ist, dass die beiden Menschen, die er tötete, weder Juden oder Muslime noch Ausländer waren. Sie seien nicht seine »Feinde« gewesen, sagt der Angeklagte. Selbstkritisch ist er hingegen bei den technischen Pannen seines Anschlags. So gab es bei seinen selbst gebauten Waffen beispielsweise Ladehemmungen - was vermutlich zahlreichen Menschen das Leben rettete.
Es geht ihm - so wirkt es - nicht darum, seine eigene Darstellung der Geschehnisse vom 9. Oktober zu erläutern, um Vergebung zu bitten oder gar die Schuld zu leugnen. Eher wirft er sich vor, vor seiner Festnahme nicht noch weiter »gekämpft« zu haben.
B. versucht, dem Gericht zu erklären, woran er gescheitert ist und warum er in bestimmten Situationen so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Es scheint, als wolle er dem Gericht zeigen, dass er kein verrückter Attentäter ist, der einfach drauf los stürmt. Als wolle er erklären, dass er bedacht und geplant vorging. Das wurde schon am ersten Verhandlungstag deutlich.
43 Nebenkläger wurden zugelassen, darunter der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki.
Ansonsten lieferten sich die Verteidiger und die Vertreter der Nebenklage am Mittwoch kleinere Wortgefechte, weshalb der Prozess mehrmals unterbrochen wurde. Am Nachmittag sollten nach der Bundesanwaltschaft und den beiden Pflichtverteidigern auch die 21 Anwälte der Nebenkläger die Gelegenheit bekommen, den Angeklagten zu befragen.
AGGRESSIONEN Eine der Nebenklägerinnen sagte am Rande der Verhandlung, das Verhalten des Angeklagten mache sie aggressiv. Zum Abbau von Aggressionen erwäge sie ernsthaft, das Gericht zu bitten, im Aufenthaltsbereich einen Boxsack aufzuhängen. Andere reagierten auf das Verhalten des 28-Jährigen ruhiger, eher traurig als wütend.
Für Betroffene stehen während des Verfahrens auch sechs Betreuer bereit. »Wir wollen Ängste und Unsicherheiten nehmen«, sagte die zuständige Referatsleiterin im Justizministerium, Manuela Naujock. In erster Linie seien sie für die Verletzten und Hinterbliebenen des Anschlags da.
»Viele haben das Video zum ersten Mal gesehen.«
Manuela Naujock, Referatsleiterin im Justizministerium
Die wurden durch das Video am Mittwoch sehr plastisch daran erinnert, wie an Jom Kippur ein Terrorist einen ihrer Angehörigen getötet hat oder sie selbst töten wollte. Naujock sagte: »Viele haben das Video zum ersten Mal gesehen.«
ZEUGEN Das Gericht hat zunächst Verhandlungstage bis Mitte Oktober geplant. 43 Nebenkläger wurden zugelassen, darunter der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, Max Privorozki. Die Zahl erhöht sich voraussichtlich noch. Am Mittwoch wurde bekannt, dass ein Ehepaar, das sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Synagoge befand, als Nebenkläger gelistet werden will.
Außerdem sind bislang 147 Zeugen benannt, darunter 68 Ermittlungsbeamte. Der Prozess soll nächste Woche Dienstag fortgesetzt werden.