In seiner jüngsten Nahostrede erklärte Barack Obama, die künftige Grenze zwischen Israel und einem Staat Palästina müsse den »Linien von 1967 mit gegenseitig akzeptiertem Gebietsaustausch« folgen. Damit hat der US-Präsident eigentlich nur ausgesprochen, was schon Politik der Vorgängerregierungen Washingtons war: Das Westjordanland gehöre nicht zu Israel und müsse Teil des palästinensischen Staates werden. Obamas einziges Zugeständnis sind kleinere Grenzkorrekturen. In der internationalen Politik kam die außenpolitische Grundsatzrede gut an. Bei der EU herrscht Genugtuung darüber, dass der US-Präsident sich die von Europa seit geraumer Zeit vertretenen Vorstellungen zu eigen gemacht hat. So ist zu erwarten, dass die Forderung nach einem faktisch vollständigen israelischen Rückzug aus dem Westjordanland in den kommenden Monaten in den Mittelpunkt der Nahostdebatte rücken wird.
kontrolle Dass Israel im Friedensfall nicht um eine Räumung des besetzten Gebietes umhin kommt, hatte bereits der frühere Ministerpräsident Ehud Olmert erkannt. Er bot der Palästinensischen Nationalbehörde (PNA) die Räumung von 98 Prozent des Westjordanlandes und einen Gebietsaustausch an. Für seinen Nachfolger Benjamin Netanjahu und seine rechtsorientierte Koalition ist dagegen ein Rückzug aus ideologischen Motiven fast undenkbar. Aber auch der amtierende Premier weiß, dass die Welt religiöse und historische Gründe nicht als einen ausreichende Rechtfertigung für die anhaltende israelische Kontrolle des Landstrichs akzeptieren wird.
Netanjahus Entscheidungsnot ist eine echte. Allerdings erscheint die im Westen verbreitete Meinung, ein israelischer Rückzug wäre hinreichende Bedingung für einen dauerhaften Nahostfrieden, als Illusion. Denn das Gegenteil ist zutreffend: Ein Rückzug ohne friedenssichernde Maßnahmen wäre eine Einladung an Israels Feind, den Kampf gegen den jüdischen Staat aus günstigeren Positionen fortzusetzen. Nicht umsonst hat selbst die Hamas erklärt, der Gründung eines palästinensischen Staates innerhalb der Gebiete zuzustimmen, die Israel 1967 besetzt hat. Gleichzeitig stellte sie aber klar, dass damit keine Anerkennung Israels einhergehe. Im Klartext: Wenn die Juden dumm genug sind, auf das Westjordanland kampflos zu verzichten, nimmt die »Islamische Widerstandsbewegung« das Geschenk gern an.
Rückkehr Die von Präsident Mahmud Abbas angeführte PNA erklärt sich zwar bereit, die Grenzen von 1967 zu akzeptieren, beharrt aber auf dem sogenannten Rückkehrrecht. Dabei sollen nicht nur die noch lebenden Kriegsflüchtlinge von 1948/49 die Möglichkeit erhalten, in das israelische Staatsgebiet zurückzukehren. Vielmehr müsse das Rückkehrrecht nach Abbas‹ Vorstellungen auch für alle Nachfahren der Flüchtlinge gelten. Das aber wären rund fünf Millionen Menschen, die selbst keine Flüchtlinge im eigentlichen Sinne des Völkerrechts sind. Nach diesem Szenario könnte Israel schnell zu einem binationalen oder sogar zu einem arabischen Staat mit jüdischer Minderheit werden. Auch das kann keine tragfähige Grundlage für einen Friedensvertrag sein.
In jedem Fall müssen Israels Grenzen verteidigungsfähig bleiben. Das hat bereits der Weltsicherheitsrat 1967, unmittelbar nach dem Sechstagekrieg, anerkannt. Mehr als das: In einer Region, in der ein Machtwechsel in der Regel auf revolutionärem und nicht auf demokratischem Wege stattfindet, hat der Grundsatz »pacta sunt servanda« keine gesicherte Geltung. Im Nahen Osten lässt sich die militärisch-geografische Verteidigungsfähigkeit nicht durch die Undenkbarkeit eines Krieges ersetzen.
Rufdistanz Daher hat das Westjordanland für Israel nicht nur historische und religiöse Bedeutung, sondern ist zudem von unersetzlichem verteidigungspolitischem Wert. Ohne angemessene Sicherheitsvorkehrungen könnten sich beliebig viele feindliche Divisionen, die iranischen Revolutionsgarden inklusive, Israels Landeszentrum auf Rufdistanz nähern. Das wollen auch solche Israelis nicht, die mit rechter Ideologie nichts im Sinne haben und einen friedlichen palästinensischen Nachbarstaat begrüßen würden.
Unter diesen Umständen muss eine realistische Nahostpolitik des Westens Israels nationale Identität und seine Verteidigungsfähigkeit schützen. Eine Lösung des Problems wird kreative Ansätze erfordern. Beispielsweise könnte zwischen politischen Grenzen und militärischen Verteidigungspositionen unterschieden werden. Auch müssen klare, international akzeptierte Regelungen für den Fall getroffen werden, dass der palästinensische Staat vom Frieden abrückt. Der Westen kann nicht nur, er muss die ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um den Frieden voranzubringen. Mit der bloßen Forderung nach einer Rückkehr Israels zu den Grenzen von 1967 ist es nicht getan.
Der Autor ist Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.