Drei große gesellschaftliche Felder überwacht der Verfassungsschutz: Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus. In zwei Bereichen vermeldet er in seinem am Dienstag in Berlin von Bundesinnenminister Thomas de Maizière und dem Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen vorgestellten Bericht für das Jahr 2014 teils dramatische Entwicklungen bezüglich des Antisemitismus: Sowohl bei Rechtsextremen als auch bei Islamisten diente der Gaza-Krieg im Sommer als Katalysator.
»Ihre grundsätzlich antisemitische und antiamerikanische/antiwestliche Ausrichtung«, heißt es über große Teile der rechtsextremen Bewegung in Deutschland, »versuchen sie mit der Agitation zu den Konflikten Israel/Hamas und Russland/Ukraine zu popularisieren«.
feindbild Gerade das gemeinsame Feindbild Israel sorge für gefährliche Koalitionen. »Innenpolitisch unmissverständlich als Bedrohung empfunden, wird der Islamismus international von einigen – auf der Grundlage von Antisemitismus und Ablehnung westlicher Werte – eher als Partner verstanden«, heißt es in dem Bericht.
Auch aufseiten der islamistischen Ideologen bleibt der Antisemitismus ein zentraler Baustein ihrer Weltsicht: »Insbesondere der verhasste Staat Israel wird mit klassischen judenfeindlichen Stereotypen verbunden: von der jüdischen Finanzkraft bis hin zur jüdischen Weltverschwörung.«
Als Belege dienen die Demonstrationen, die im Sommer in deutschen Städten stattfanden. »Die teilweise aggressiv gegen Juden oder Israel gerichteten Parolen bei Veranstaltungen und im Internet, vor allem aber die Übergriffe auf Juden und israelsolidarische Demonstranten und der Anschlag auf die Synagoge in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) belegen das unverminderte Aggressionspotenzial«, schreiben die Verfassungsschützer. »Mit dem Anschlag im Jüdischen Museum in Brüssel – verübt von einem Syrien-Rückkehrer – und dem Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt in Paris wird die anhaltend hohe Gefährdung für Juden und jüdische Einrichtungen durch Dschihadisten deutlich.«
mahnwachen Was den Antisemitismus angeht, konstatieren die Behörden, dass es auch eine Flanke nach links gibt: »Rechtsextremisten versuchen, die regelmäßig in verschiedenen deutschen Städten durchgeführten sogenannten Montagsdemonstrationen und Friedensmahnwachen für sich zu nutzen.« Was da im Namen des Friedens an antiwestlichen, antisemitischen und verschwörungstheoretischen Ansichten verbreitet werde, biete oft »Anschlussmöglichkeiten zu offen rechtsextremistischen Positionen«.
Bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts hob Innenminister de Maizière hervor, dass die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2014 mit 198 so hoch war wie nie zuvor. Beängstigend ist auch die Information, dass bereits im ersten Halbjahr 2015 rund 150 Straftaten gegen Unterkünfte von Asylbewerbern verzeichnet wurden.
Insgesamt hat die Gewaltbereitschaft in der rechtsextremen Szene dramatisch zugenommen: Die Zahl der Gewalttaten von Rechten stieg im vergangenen Jahr um fast 24 Prozent auf 990. Das ist der höchste Stand seit 2008.
reaktion In einer ersten Reaktion erklärte die in Berlin ansässige Amadeu Antonio Stiftung, dass sich ihre Befürchtungen leider bestätigt haben. »Rassistische Gewalt gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte nimmt seit Oktober 2014 mit dem Beginn der Pegida-Demonstrationen dramatisch zu«, erklärte Stiftungsgeschäftsführer Timo Reinfrank.
Ihm war es wichtig, darauf hinzuweisen, »dass diese Gewalt nicht nur von Neonazis begangen wird. Vielmehr sind es immer häufiger auch sogenannte ›besorgte Bürgerinnen und Bürger‹, die ihren rassistischen Einstellungen freien Lauf lassen«.
Kritik übt die Stiftung bezüglich der Erfassung von Antisemitismus. Wer dieses Phänomen nur bei Salafisten, Islamisten und Rechtsextremen suche, übersehe die Breite des Judenhasses. »Keine politische oder gesellschaftliche Gruppe ist von antisemitischen Vorurteilen ausgenommen: Von Rechtsextremen, Islamisten, über die gesellschaftliche Mitte bis hin zu Personen mit linkem Selbstverständnis finden sich antisemitische Positionen«, so Reinfrank. »Dies wird im Verfassungsschutzbericht zu wenig berücksichtigt.«