Herr Müller-Rosentritt, für den nächsten Bundestag werden Sie nicht mehr kandidieren. Welche Bilanz in der Nahostpolitik ziehen Sie nach drei Jahren Ampel-Koalition?
Gemessen an den Erwartungen, die durch den Koalitionsvertrag geweckt wurden, den ich mit verhandelt habe, ist das Regierungshandeln enttäuschend. Wir hatten uns darauf geeinigt, gegen antisemitische Tendenzen bei den Vereinten Nationen vorzugehen. Doch das Gegenteil wurde getan. Häufig hat sich Deutschland in den UN-Gremien – entgegen der Empfehlung der FDP – enthalten oder gar gegen Israel gestimmt. Das ist eine Schande für unser Land! Selbst für die Ablösung der für eklatanten Israelhass und Antisemitismus bekannten UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, hat sich die Bundesregierung – mangels Bereitschaft bei SPD und Grünen – nicht eingesetzt.
Lag das am Unwillen der Bundesregierung, oder ist es nicht vielmehr auch dem schwierigen Terrain der Diplomatie geschuldet?
Ich bin 100-prozentig davon überzeugt: Es handelt sich hier um Unwillen, weil einige Parteien einen komplett anderen Blick auf bestimmte Themen haben. Es gab für viele Vorschläge der Liberalen keine Mehrheit. Die Blockade der Waffenlieferungen an Israel durch grüne Ministerien oder der Skandal um den unsäglichen, antizionistischen Instagram-Post der Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz von der SPD zeigt, wie weit weg einige vom moralischen Imperativ des »Nie wieder!« sind.
Sind Sie da im Rückblick nicht etwas pessimistisch?
Es ist auch einiges gelungen, zum Beispiel die Bundestagsresolution zum Antisemitismus, die Schließung des Islamischen Zentrums in Hamburg und der iranischen Generalkonsulate oder das Betätigungsverbot für Hamas und Samidoun. Leider alles viel zu spät. Wenn es darum geht, unsere Wertepartner dabei zu unterstützen, sich gegen Bedrohungen und Angriffe zu verteidigen, fühlt sich das für viele Partner nicht ausschließlich nach maximalem Support an. Das gilt für die Ukraine, aber eben auch für Israel.
Diese UNRWA kann und darf für Deutschland kein Partner sein. Wir könnten vorangehen, tun es aber nicht.
Hat Deutschland auf der internationalen Bühne überhaupt Gewicht, das es in die Waagschale werfen kann?
Nicht nur an der Front in der Ukraine und im Nahen Osten, auch an der diplomatischen Front befinden wir uns gerade in einem asymmetrischen Krieg. Während vor Ort Akteure versuchen, Israel von der Landkarte zu tilgen, benutzen zahlreiche Staaten die Vereinten Nationen, um die Idee von Israel zu zerstören. Deshalb wäre es klug, die nächste Bundesregierung würde dieses Verhalten ändern, um gemeinsam mit unseren Wertepartnern für Dinge einzustehen, für die wir als liberale Demokratien einstehen müssen: für Freiheit, Humanität und Menschenrechte.
Wie kann Deutschland die internationale Politik gegenüber Israel beeinflussen?
Deutschland muss ein Leader der freien Welt sein. Wenn wir diesen Anspruch nicht einlösen, wird uns auch niemand folgen. Ein konkretes Beispiel ist die UNRWA, das Flüchtlingshilfswerk für die Palästinenser. Es widerspricht doch eklatant unserer Staatsräson, dass wir mit Steuergeldern eine Organisation finanzieren, die im Gazastreifen von der Hamas unterwandert wurde und die ganz offenkundig in all den Jahren keinen relevanten Beitrag zur Verständigung und Koexistenz geleistet hat. Es ist unverantwortlich, die Zahlungen trotz der bestehenden Evidenzen fortzuführen. Die Zahlungen müssen gestoppt und die humanitäre Hilfe durch andere Organisationen erbracht werden.
Auch die EU und andere europäische Staaten haben die Unterstützung wiederaufgenommen. Kann Deutschland sich da einfach querstellen?
Wir sind ja nicht irgendein Geldgeber, sondern einer der wichtigsten weltweit. Diese UNRWA kann und darf für Deutschland kein Partner sein. Wir könnten vorangehen, tun es aber nicht. Was passiert stattdessen? UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini wird, wie bei seinem Besuch neulich in Berlin, von führenden Regierungspolitikern der SPD und der Grünen hofiert. Grauenhaft!
Es ist perfide, dass der Chefankläger Karim Khan israelische Politiker auf eine Stufe stellt mit Hamas-Terroristen.
Ein wichtiges außenpolitisches Thema sind die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen israelische Politiker. Wie stehen Sie dazu?
Ein Skandal. Es ist perfide, dass der Chefankläger Karim Khan israelische Politiker auf eine Stufe stellt mit Hamas-Terroristen. Ich finde, auch da könnte Deutschland entschlossener vorangehen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Was genau schlagen Sie vor? Den Ausstieg Deutschlands aus dem Strafgerichtshof?
Nein. Aber wenn sogar die Opposition in Israel diese Haftbefehle kritisiert, zeigt das, dass es hier nicht um bestimmte Personen geht, sondern um den Versuch der Delegitimierung Israels. Wieder einmal wird mit zweierlei Maß gemessen. Wir müssen das thematisieren – so, wie es andere auch tun.
Mal abgesehen von der Berliner Regierungspolitik, die sich gern pro-israelisch gibt: Steht Deutschland als Land, als Gesellschaft wirklich an der Seite Israels?
Das kommt darauf an, wohin Sie schauen. Ich erlebe in meiner Heimat und auch anderswo großes Verständnis für Israel, das angegriffen wurde und sich wehren muss. Aber wenn ich mir unsere Universitäten in Berlin anschaue, stelle ich fest, dass dort jegliches Maß verloren gegangen ist, wenn es um Israelkritik geht. Dasselbe gilt, wenn Lehrer jüdischen Schülern nach verbalen oder physischen Angriffen seitens ihrer Mitschüler empfehlen, sich doch besser eine neue Schule zu suchen, anstatt dem Angreifer zu sagen: »Du fliegst hier raus.« Aus einem falsch verstandenen Verständnis von Toleranz wurde in den letzten Jahren zu viel hingenommen, gerade im Hinblick auf Antisemitismus. Das muss sich ändern.
Mit dem FDP-Bundestagsabgeordneten und Host des Podcasts »DiploPod« sprach Michael Thaidigsmann.