Die Pressekonferenz im Berliner Kanzleramt neigte sich am Dienstagnachmittag dem Ende entgegen, als Regierungssprecher Steffen Hebestreit noch einem Journalisten Gelegenheit gab, letzte Fragen an Olaf Scholz und an Mahmud Abbas zu stellen.
Der Reporter kam auf den palästinensischen Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München zu sprechen, der sich am 5. September jährt, und fragte: »Planen Sie, 50 Jahre danach, als Präsident im Namen der Palästinenser sich bei Israel und Deutschland zu entschuldigen und bei der vollständigen Aufklärung des Anschlags behilflich zu sein?«
Während sich der Kanzler zunächst ausführlich zur Gasumlage äußerte, hatte der Chef der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zwei Minuten Bedenkzeit, um sich eine Antwort zu überlegen. Doch Abbas entschied sich für den Eklat. »Seit 1947, bis zum heutigen Tag, hat Israel 50 Massaker in 50 palästinensischen Dörfern (…) begangen, 50 Holocausts«, sagte der PA-Präsident. »Wenn wir weiter in der Vergangenheit wühlen wollen, ja bitte«, fügte er hinzu.
APARTHEID Der Bundeskanzler stand mit versteinerter Miene daneben. Doch Olaf Scholz sagte nichts. Dann war die Pressekonferenz beendet. Immerhin hatte der Kanzler sich zuvor noch von Abbas distanziert, als dieser behauptet hatte, Israel habe als einziges Land in der Region ein »Apartheidsystem«.
Den Holocaust-Vergleich von Abbas kritisierte Scholz dagegen erst lange nach dem Ende der Pressekonferenz.
Den Holocaust-Vergleich von Abbas kritisierte Scholz dagegen erst lange nach dem Ende der Pressekonferenz, und nur, weil Reporter der »Bild«-Zeitung im Kanzleramt nachhakten. Zu diesem Zeitpunkt hatten deutsche und internationale Medien bereits Schlagzeilen wie »Scholz schweigt zu Abbas’ Holocaust-Vorwurf« verbreitet.
Dass Scholz Abbas nicht sogleich Kontra gab, als dieser den Mord an sechs Millionen Juden verharmloste, wird der Kanzler sich wohl selbst als Fehler ankreiden. Und auch, dass er selbst keine Worte fand zum Olympia-Attentat und zur Ankündigung der Angehörigen der Opfer, nicht zur Gedenkfeier nach München zu kommen. Abbas wiederum hätte sicher einiges zur Aufklärung des Anschlags von 1972 beisteuern können.
Vor rund 20 Jahren hatte Abu Daoud, der Drahtzieher des Attentats, ihn als einen der »Finanziers« der Terrorgruppe »Schwarzer September« bezeichnet, die die Entführung und Ermordung der israelischen Olympioniken bei den Sommerspielen 1972 ausgeführt hatte. Dass der auch als Abu Mazen bekannte Palästinenserführer zumindest in die Attentatspläne eingeweiht war, kann als gesichert gelten. 2020 hatte Abbas auf seiner Facebook-Seite sogar drei Mitglieder des »Schwarzen Septembers« als Helden geehrt.
»Ich frage mich, wie ein Politiker, der Terror duldet, Partner für Frieden sein soll.«
Zentralratspräsident Josef Schuster
Und auch zum Holocaust hat er sich bereits in problematischer Weise geäußert. Schon in seiner Doktorarbeit in Moskau 1982 übte der Historiker sich in der Relativierung der Schoa, bestritt die Existenz von Gaskammern und zog die Zahl von sechs Millionen ermordeten Juden in Zweifel. Es sei im finanziellen »Interesse der zionistischen Bewegung«, die Opferzahl aufzublähen, schrieb Abbas. Als er Nachfolger von Jassir Arafat als Palästinenserchef wurde, distanzierte er sich von seiner Dissertation. Abbas’ Aussagen am Dienstag in Berlin lassen nun aber neue Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufkommen.
Klar ist: Mit seinem Auftritt hat der 87-Jährige für Empörung gesorgt. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, warf dem Palästinenserchef vor, er relativiere die NS-Vernichtungspolitik. »Dass eine Relativierung des Holocaust, gerade in Deutschland, bei einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt, unwidersprochen bleibt, halte ich für skandalös«, so Schuster.
Er nannte es »beschämend«, dass Abbas nicht in der Lage gewesen ist, die Ermordung der elf israelischen Sportler 1972 in München zu verurteilen. »Ich frage mich, wie ein Politiker, der Terror duldet, Partner für Frieden sein soll.« Volker Beck, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, forderte den Stopp deutscher Zahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde, solange diese weiterhin Renten an die Familien getöteter oder inhaftierter Terroristen auszahle.
WIDERSPRUCH »Ein unfassbarer Vorgang im Kanzleramt«, schrieb CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstagabend auf Twitter. Der Kanzler hätte dem Palästinenserpräsidenten »klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen«, argumentierte er.
Der israelische Ministerpräsident Yair Lapid reagierte mit deutlichen Worten: »Dass Mahmud Abbas Israel beschuldigt, ›50 Holocausts‹ begangen zu haben, während er auf deutschem Boden steht, ist nicht nur eine moralische Schande, sondern eine ungeheuerliche Lüge«, schrieb er auf Twitter. Die Geschichte werde Abbas niemals verzeihen. Lapid ist selbst Sohn eines Holocaust-Überlebenden.
Die Witwe des beim Olympia-Attentat ermordeten israelischen Fechttrainers André Spitzer zeigte sich ebenfalls entsetzt.
Die Witwe des beim Olympia-Attentat ermordeten israelischen Fechttrainers André Spitzer zeigte sich ebenfalls entsetzt. »Das ist eine Schande«, so Ankie Spitzer im Gespräch mit dieser Zeitung. Sie sei irritiert, dass Abbas überhaupt so kurz vor dem Jahrestag des Anschlags ins Kanzleramt eingeladen worden sei.
holocaust-relativierung »Jemanden einzuladen, der sich nicht für München entschuldigt, der ein Teil dieser ganzen Aktion war, ist einfach unglaublich«, so Spitzer. Auch, dass Kanzler Scholz der Holocaust-Relativierung nicht sofort widersprochen habe, sei für sie unverständlich. »Wir haben uns schon an einiges gewöhnen müssen, was aus Deutschland kommt. Das ist aber einfach inakzeptabel.«
Am Mittwochvormittag kam dann doch noch eine Reaktion des Bundeskanzlers. Er twitterte: »Ich bin zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmoud #Abbas. Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel.« (mit dpa)