Berlin

Eine Gemeinde, zwei Sitzungen

Sechs Vertreter der Opposition im Hollywood Media Hotel am Donnerstag in Berlin mit ihrem Wortführer Micha Guttmann (3.v.r.) Foto: Mike Minehan

In Jewgenij Gamals Wohnung ist es, so gibt er ein wenig zerknirscht zu, zurzeit etwas unordentlich. Und manchmal findet er noch Unterlagen des Koach-Wahlprogramms. Der Gruppe, mit der er 2012 angetreten war. Dann sieht er die einzelnen Punkte an und versucht, sich zu erinnern, was einmal das Ziel war, mit dem Koach die Gemeinde regieren wollte.

Heute sieht der ehemalige Kulturdezernent nichts von dem auch nur ansatzweise verwirklicht: mehr Transparenz, besseres Image, mehr Professionalität in der Gemeindeführung? Fehlanzeige. Deswegen hat sich der Jurist am Donnerstagnachmittag gemeinsam mit anderen Repräsentanten der Gemeinde im Kinosaal des Hollywood Media Hotels am Kurfürstendamm getroffen, um über einen Weg aus der Krise der Gemeinde zu sprechen.

Szenen Diese zeigt sich nicht etwa als schlechter Film auf der Leinwand, sondern in aufgenommenen Szenen aus der vorletzten Repräsentantenversammlung, die mit Handgreiflichkeiten, wüsten Beschimpfungen und mit einem Polizeieinsatz endete. »Peinlich« ist nur ein Wort, das im Saal geflüstert wird, während der kurze Film läuft. Und doch beschreibt es ziemlich genau, was die Gemeindemitglieder, die der Einladung der Opposition gefolgt waren, empfinden. Sie sagen, dass sie sich für ihre Gemeinde, immerhin die größte in Deutschland, schämen.

Dieser Peinlichkeit zu entfliehen und der Gemeinde ein würdiges und demokratisches Image zu geben, sei das Ziel der Opposition, die am Donnerstag durch Micha Guttmann, Sergey Lagodinsky, Tuvia Schlesinger, Michael Joachim, Carola Melchert-Arlt und Jewgenij Gamal verteten wird. Sie hätten beschlossen, die RV, die wenige Stunden später stattfinden soll, zu boykottieren. »Wir wollen informieren und noch einmal erläutern, warum die Versammlung am 23. Mai so eskaliert ist«, sagt Guttmann. Außerdem sei man um die eigene Sicherheit besorgt.

Micha Gutmann appelliert gleich zu Beginn: »Treten Sie nicht aus der Gemeinde aus.« Denn um die Gemeinde bei ihrem demokratischen Wandel zu begleiten, bedürfe es der aktiven Mitglieder. Noch besser allerdings wären Neuwahlen. Auch deswegen haben Schlesinger, Guttmann und Joachim die Initiative Neuwahlen 2013 ins Leben gerufen. Um diese Wahlen einleiten zu können, benötigen sie insgesamt Unterschriften von 1850 wahlberechtigten Mitgliedern. Nach eigenen Angaben hat die Initiative bis jetzt knapp über 1600. »Koach muss weg – auf legalem Weg«, ist sich Tuvia Schlesinger sicher. Mit diesem Vorstand könne man nicht demokratisch arbeiten.

Mediator Auch Carola Melchert-Arlt, die erst vor Kurzem aus dem Vorstand ausgetreten war und dies mit »gutem Gewissen« getan hat, möchte, dass sich grundlegend etwas in der Gemeinde ändert. Sie habe in einem Brief an den Zentralrat die Situation geschildert, woraufhin sich Dieter Graumann als Mediator angeboten habe, sagt Melchert-Arlt. »Noch gibt es von Gideon Joffe keine Rückmeldung dazu.«

Die kann auch der Pressesprecher der Gemeinde nicht geben, der am Donnerstagnachmittag ebenfalls im Publikum sitzt. Michael Joachim hat ihn während des knapp zweistündigen Treffens beobachtet: »Sie müssen sich doch unwohl in Ihrer Haut fühlen«, spricht er Ilan Kiesling direkt an. Doch dieser erwidert, er sei froh, nicht gleich rausgeschmissen, sondern nur beschimpft zu werden.

Rausschmeißen, darin ist sich das Publikum im Saal einig, das sei nicht der richtige Stil. Man möchte diskutieren und rasch zu einer Lösung kommen. Doch auch das dauert seine Zeit, und so fragt sich der Rechtsanwalt und ehemalige Gemeinderepräsentant Benno Bleiberg, ob es für das Quorum ein Zeitfenster gebe und falls es scheitern sollte, wie Plan B der Opposition aussehe.

»Eines ist sicher«, betont Schlesinger, »eine Austrittsgemeinde ist keine Alternative.« Er möchte das Werk, das die Großeltern und Eltern aufgebaut haben, nicht aufgeben. Und auch die ehemalige Gemeindevorsitzende Lala Süsskind appelliert: Wenn jeder zehn Stimmen für den Neuwahl-Antrag sammeln würde, hätte man ein gutes Polster. Nach der Sommerpause würde man dann weitersehen. Fest stehe jedenfalls, dass die sieben Mitglieder dann wieder an der RV teilnehmen werden.

fasanenstraße Dort ging es – bei der letzten RV vor der Sommerpause – eher ruhig zu. Fast alle Beschlüsse – es reichte jeweils eine einfache Mehrheit von elf Stimmen – wurden einstimmig gefasst, und nach knapp eineinhalb Stunden war die öffentliche Tagesordnung abgearbeitet. Neben den sieben Mitgliedern, die der Opposition angehören, ließ sich noch ein weiterer Repräsentant entschuldigen, dessen Fehlen aber nichts mit dem Boykott zu tun hatte.

Man äußerte sich nicht zur Finanzlage der Gemeinde, und es gab auch keinen Vorstandsbericht. Stattdessen wurde Natalija Apt zum neuen Vorstandsmitglied und zur Schuldezernentin gewählt, die damit die Nachfolge von Carola Melchert-Arlt antritt. Gideon Joffe wurde zum neuen Vertreter des Rundfunkrates der RBB gewählt und könnte damit Tuvia Schlesinger ablösen, der derzeit die Gemeinde Berlins und Brandenburgs in diesem Gremium vertritt.

Der Boykott der sieben Mitglieder der Opposition machte sich nur an einem Punkt bemerkbar, wie Michael Rosenzweig, Vorsitzender des Präsidiums, betonte: Es konnten keine Mitglieder für den Schiedsausschuss gewählt werden, da dazu eine Zweidrittelmehrheit nötig ist, die nun nicht vorhanden war. Indes steht dieser Punkt bereits seit über einem Jahr auf der Tagesordnung. Bisher erfolglos.

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