Wegen versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung muss sich der 29-jährige Grigoriy K. vor dem Hamburger Schwurgericht verantworten. Mit einem Klappspaten soll K. am 4. Oktober vergangenen Jahres vor der Synagoge Hohe Weide in Hamburg auf einen jungen Mann mit Kippa eingeschlagen haben. Der jüdische Student war auf dem Weg in die Synagoge, in der gerade Sukkot, das Laubhüttenfest, gefeiert wurde. Das Opfer erlitt schwere Verletzungen.
Der in Kasachstan geborene mutmaßliche Täter soll psychisch krank und daher schuldunfähig sein. Deswegen klagte die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg den Mann nicht wegen der Taten an, sondern beantragte seine dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Der Prozess wird daher als sogenanntes Sicherungsverfahren geführt. Das heißt, sollte es sich bei K. tatsächlich um den Täter handeln, wird das Gericht ihn am Ende des Verfahrens nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilen, sondern seine Unterbringung anordnen.
Beim Prozessauftakt saß K. mit schwarzer Kapuze auf dem Kopf und mit Handfesseln fixiert im Gerichtssaal. Er machte einen ruhigen Eindruck. Nach wenigen Minuten schloss das Gericht die Öffentlichkeit für die Dauer des Verfahrens aus. Dies ist bei »Sicherungsverfahren« üblich. Eine Vertreterin der Jüdischen Gemeinde Hamburg darf der Verhandlung als Prozessbeobachterin beiwohnen. Das 26-jährige Opfer der Attacke sagte beim Prozess aus. Dem Vernehmen nach leidet der junge Mann bis heute an den Folgen.
IRRITATIONEN Für Irritationen sorgt die Bewertung des Angriffs durch die Behörden. Weil der damals noch am Tatort festgenommene mutmaßliche Angreifer Wahnvorstellungen haben soll, wird Antisemitismus nicht als primäres Motiv gesehen. Und das, obwohl sich K. mit einem Taxi zur Synagoge im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel hat fahren lassen und dort gezielt einen Menschen mit Kippa attackiert haben soll.
Auch dass die Tat kurz vor dem ersten Jahrestag des antisemitischen Terroranschlags von Halle an der Saale verübt wurde, änderte an der Auffassung der Ermittler nichts. Ähnlich wie der Attentäter von Halle trug K. einen Tarnanzug. Zudem fand die Polizei bei K. neben einem Taschenmesser einen Zettel mit aufgemaltem Hakenkreuz.
K. soll im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt haben, ist die Generalstaatsanwaltschaft überzeugt. Ein Gutachter attestierte dem mutmaßlichen Täter eine akute paranoide Schizophrenie, begleitet von wahnhaften Verfolgungsängsten, die die Tat ausgelöst hätten. Der Gutachter sieht »keinerlei Anhaltspunkte« dafür, »dass der Beschuldigte in freier Willensbestimmung religiöse, weltanschauliche, rechtsextremistische oder antisemitische Ziele verfolgte«.
PROTEST Weil die Tat damit nicht als antisemitischer Mordversuch gewertet wird, gab es zum Prozessauftakt kritische Stimmen. Etwa 25 vornehmlich junge Menschen protestierten mit einem Spruchband »Gegen jeden Antisemitismus« vor dem Gerichtsgebäude. »Es gibt in Deutschland eine Tradition, bei Terror, der von rechts ausgeht und sich gegen Minderheiten richtet, die politischen Aspekte der Tat nicht zu berücksichtigen«, sagte ein Teilnehmer.
Täter von rassistischen und antisemitischen Angriffen würden zu oft als »Einzeltäter« mit psychischen Erkrankungen eingestuft. Solche »Wahnvorstellungen«, wie sie der Täter von Hamburg etwa hatte, würden schließlich nicht im luftleeren Raum entstehen. Die Demonstranten forderten, Antisemitismus als Motiv klar zu benennen.
Antisemitische »Wahnvorstellungen« wie die des Täters entstehen nicht im luftleeren Raum.
Auch die Jüdische Gemeinde in der Hansestadt zeigte sich irritiert von der Einstufung der Tat durch die Ermittlungsbehörden. »Es muss anerkannt werden, dass ganz gezielt die jüdische Gemeinschaft angegriffen wurde«, sagte Philipp Stricharz, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Hamburg. Wie könnten denn antisemitische Taten in Zukunft verhindert werden, wenn man sie nicht als solche benennt, fragte Stricharz.
Laut Generalstaatsanwaltschaft seien keine Hinweise gefunden worden, dass K. vor der Tat antisemitisches Gedankengut hegte. »Vollständig ausgeschlossen werden kann dies derzeit jedoch nicht«, so die Behörde.
HAKENKREUZ Auch der Zettel mit Hakenkreuz, den K. in der Hosentasche trug, ändert an der Bewertung der Ermittler nichts. »Denn dem Beschuldigten war aus seinem privaten Umfeld wohlmeinend geraten worden, sich gegen die von ihm wahrgenommenen Dämonen und Reptiloiden unter anderem mittels einer solchen Zeichnung zu schützen«, heißt es von der Generalstaatsanwaltschaft.
Und weiter heißt es von der Behörde: »Dabei sollte das Kreuz in seiner ursprünglichen Bedeutung (Swastika) als Symbol des Lichts und der Sonne Schutz bieten und Glück bringen.« Für die Strafverfolger ist entscheidend, ob die Tat in »freier Willensbestimmung« durchgeführt wurde. Weil die Ermittler dies verneinen, sehen sie kein politisches, sondern ein pathologisches Motiv. Dabei verwundert es, dass eine psychische Erkrankung und Antisemitismus offenbar als sich widersprechende Tatmotivationen angesehen werden.
Zumindest daran, dass sich der Anschlag gezielt gegen Juden richtete, gibt es seitens des Gerichts jedoch keine Zweifel. Die Vertreterin der Gemeinde kann den Prozess beobachten, »weil davon ausgegangen wird, dass es ein gezielter Angriff auf ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde war«, sagte ein Gerichtssprecher. Da Sorge um den Gesundheitszustand von K. besteht, wird der Prozess ohne den Beschuldigten weitergeführt. Ein Urteil wird voraussichtlich Ende März gesprochen.