Interview

»Eine DFB-Delegation wird Auschwitz besuchen«

»Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine dauerhafte Aufgabe in der Gesellschaft, auch für uns alle im Fußball.« Foto: dpa

Herr Niersbach, was plant der Deutsche Fußball-Bund (DFB) im Fall des israelischen Bundesligaspielers Itay Shechter, der vor wenigen Wochen beim Training von Zuschauern antisemitisch beschimpft wurde, weiter zu unternehmen?
Die antisemitischen Beleidigungen gegenüber Itay Shechter verurteilen wir aufs Schärfste. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Vorfalls habe ich Kontakt zum Vorstandsvorsitzenden des 1. FC Kaiserslautern, Stefan Kuntz, aufgenommen. Wir sind seitdem in ständigem Austausch und uns vollkommen einig darin, dass solche Vorgänge in keinster Weise zu tolerieren sind. Derartigen Tendenzen muss bereits im Ansatz entschlossen entgegengetreten werden. Ich vertraue hier den zuständigen Behörden, dass der Fall mit aller Konsequenz verfolgt wird.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, hatte nach den Vorfällen von einer »Schande« und einem »Skandal für den deutschen Fußball« gesprochen. Der DFB müsse sich in einem solchen Fall »viel schneller und lauter äußern«. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Zunächst hat mich persönlich beeindruckt, wie souverän und differenziert Itay Shechter mit der Situation umgegangen ist. Und wie sich die Fans des FCK demonstrativ hinter ihn gestellt haben. Die klare Reaktion des DFB war wichtig, reicht aber allein natürlich nicht aus. Der Kampf gegen Antisemitismus ist eine dauerhafte Aufgabe in der Gesellschaft, auch für uns alle im Fußball. Deshalb vergibt der DFB zum Beispiel seit nunmehr sieben Jahren den Julius-Hirsch-Preis, der an den in Auschwitz ermordeten jüdischen Nationalspieler erinnert und vorbildliches Engagement gegen Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus auszeichnet.

Wollen Sie generell an der von Ihrem Vorgänger Theo Zwanziger eingeleiteten Politik der Modernisierung des DFB in gesellschaftlichen Fragen festhalten, also die Ächtung von Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Homophobie auf und neben den Fußballplätzen fortsetzen?
Absolut, ich werde diese Linie entschlossen weiterverfolgen. Theo Zwanziger hat die gesellschaftlichen Themen im Verband vorangetrieben, wir alle beim DFB und ich in meiner Funktion als Generalsekretär standen dahinter – daran wird sich nichts ändern! Der Fußball ist ein Geschenk. Er ist in der Lage, spielerisch die Menschen zu verbinden. Ich bin froh, dass viele der gesellschaftlichen Aufgaben gebündelt sind in unseren Stiftungen und in der Kommission Nachhaltigkeit.

Wo gibt es in dieser Hinsicht noch weiteren Verbesserungsbedarf?
Wir sind nicht selbstzufrieden, verbessern kann man sich immer. Wenngleich ich voller Überzeugung sage, dass der DFB eine solide Basis mit guten Strukturen hat. Mit den Bereichen Integration, Anti-Diskriminierung, Klima und Umwelt, Depressionen, Missbrauch, Anti-Korruption, Kultur, Prävention und soziale Verantwortung sind zentrale Themengebiete besetzt. Doch je stärker wir in unserem Kerngeschäft sind, desto glaubwürdiger und effektiver können wir diese wichtigen Felder besetzen. Dazu trägt die Nationalmannschaft entscheidend bei, die unter anderem mit den Erlösen aus den regelmäßigen Benefizspielen die Stiftungsarbeit möglich macht. Von dieser Einheit des Fußballs, die meiner Ansicht nach nirgendwo auf der Welt stärker gelebt wird, profitieren alle.

Erwin Ress, Fanprojektleiter des 1. FC Kaiserslautern, sagte kürzlich: »Die aktuelle Debatte um Pyrotechnik beim Fußball hat dazu geführt, dass Sicherheitskräfte und Vereine beinahe ausschließlich damit beschäftigt sind, Ultras abzutasten und per Kamera zu überwachen. Leute mit rechten Szene-Klamotten können hingegen oft unbehelligt durchs Stadion spazieren.« Setzt der DFB falsche Prioritäten?
Unsere Sicherheitsdienste werden professionell geschult und sensibilisiert. Dazu gehört ganz klar die Maßgabe, sofort einzuschreiten, wenn Personen auffällig werden. Natürlich zählt auch das Tragen einschlägiger Symbole dazu. Hundertprozentige Kontrolle gibt es leider nie, aber wir sind sehr wachsam und wissen, dass wir auch in diesem Bereich niemals nachlassen dürfen.

Was halten Sie von der Idee Dieter Graumanns, dass die deutsche Nationalmannschaft während der im Sommer in Polen und der Ukraine stattfindenden Europameisterschaft der Gedenkstätte Auschwitz einen Besuch abstattet – dort, wo der jüdische Nationalspieler Julius Hirsch ermordet wurde? Am Rande des Länderspiels in Israel 1997 wurde seinerzeit ja auch die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem besucht.
Mit dem Besuch in der KZ-Gedenkstätte beschäftigen wir uns, seitdem unsere Teilnahme an der EURO feststeht. In einem persönlichen Gespräch mit Herrn Graumann vergangene Woche in der DFB-Zentrale habe ich ihm unsere aktuellen Überlegungen vorgestellt. Eines kann ich bereits sagen: Der DFB wird mit einer Delegation die Gedenkstätte Auschwitz besuchen. Den genauen Zeitpunkt, die Besetzung und die Details werden wir in den nächsten Wochen festlegen. Wir alle sind uns darin einig, dass dieser Besuch in einem würdigen Rahmen ablaufen muss und kein öffentliches Spektakel werden darf. Ich selbst war schon in Auschwitz und weiß aus meiner eigenen Erfahrung, wie wichtig die Erinnerung an den Holocaust ist. Eine Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ist mir in diesem Zusammenhang besonders in Erinnerung geblieben: »Wer die Augen vor der Vergangenheit verschließt, wird blind für die Gegenwart.« Deshalb besuchen wir mit unseren Junioren-Nationalmannschaften jedes Jahr in Israel Yad Vashem.

Ende Mai spielt die deutsche Nationalmannschaft ihr letztes Testspiel vor der EM gegen Israel. Geschieht dies aus einem besonderen Grund?
Der Anstoß war, dass Israel als Gegner auf dem Wunschzettel von Bundestrainer Joachim Löw stand. In einem Telefonat mit Ori Shilo, dem Generalsekretär des israelischen Fußball-Verbands, haben wir das Spiel dann im Handumdrehen abgemacht, völlig unkompliziert. Als ich vergangene Woche beim UEFA-Kongress in Istanbul war, fiel mir Präsident Avi Luzon in die Arme, um mir zu meiner Wahl zu gratulieren und zu sagen, wie sehr er sich auf das Spiel freut. Dieser unverkrampfte, offene Umgang ist nur ein Beispiel für die enge Verbundenheit zwischen dem DFB und dem israelischen Verband. Ich erinnere mich auch noch sehr genau an unsere ersten Reisen in den 80er-Jahren. Damals habe ich noch als Journalist tief beeindruckt darüber berichtet, wie die Gattin des DFB-Präsidenten Hermann Neuberger in den Bergen Judäas Bäume pflanzte und sich ihr Mann für die Aufnahme Israels in die UEFA einsetzte. Das war ein Kraftakt, weil dafür eine Satzungsänderung nötig war. 1994 war es dann vollbracht. Vor diesem Hintergrund ist es umso schöner, dass die U-21-EM nächstes Jahr in Israel stattfindet.

Was erwarten Sie sich jenseits des rein Sportlichen von der Begegnung?
Dass es für alle ein Abend der freundschaftlichen Begegnungen wird. Der neue Botschafter Israels ist unser Ehrengast, und es ist eine tolle Idee, dass seine Mitarbeiter ebenfalls dabei sein wollen. Wie ich gehört habe, kommen auch aus den Makkabi-Vereinen in München und Frankfurt Busse nach Leipzig. Viele Juden haben uns übrigens geschrieben, dass sie sich über die Vorverlegung des Spiels freuen, weil die Übertragung nicht mehr in den Schabbat fällt. Und es ist umso schöner, dass dieses Spiel in Leipzig stattfindet. Der jüdische Fußballpionier Walther Bensemann gab hier dem DFB im Jahr 1900 in der Gaststätte Mariengarten seinen Namen. Insofern gibt es keinen besseren Ort, ein Zeichen gegen Antisemitismus und für freundschaftliches Miteinander zu setzen.

Plant der DFB etwas Besonderes für die Begegnung?
Wir arbeiten gerade im Austausch mit der Botschaft Israels an unserem Rahmenprogramm. Aber natürlich stehen die Mannschaften im Mittelpunkt. Die Fans im Stadion und Millionen an den Fernsehbild- schirmen werden zusehen, wenn sich beide Länder sportlich und ganz selbstverständlich begegnen. Das ist für uns alle ein Glück der Geschichte und ein starkes Symbol für Frieden und Versöhnung.

Wolfgang Niersbach begann seine berufliche Laufbahn als Journalist beim Sport-Informationsdienst. Im Anschluss an seine Arbeit als Pressechef der EM 1988 in Deutschland wurde er Mediendirektor des DFB. Zwischen 2001 und 2006 arbeitete er als Pressechef des Organisationskomitees zur Fußball-WM 2006 in Deutschland. 2007 wurde Niersbach DFB-Generalsekretär. Am 2. März 2012 wurde der 61-Jährige vom DFB-Bundestag einstimmig zum neuen DFB-Präsidenten gewählt. Niersbach ist damit Nachfolger des Leo-Baeck-Preisträgers Theo Zwanziger.

Die Fragen an den DFB-Präsidenten stellte André Anchuelo.

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