Null. Das ist die Zahl der Anzeigen wegen Beschneidungen, die bei den Staatsanwaltschaften der Republik seit dem aufsehenerregenden Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichts eingegangen sind.
Null, die kleinste aller Zahlen, hat in diesem Fall eine große Aussagekraft. Denn parallel zu einer in Teilen hysterischen Debatte, in deren Verlauf man den Eindruck bekommen konnte, in Deutschland würden täglich Hunderte jüdische und muslimische Jungen unter dem Applaus ihrer sadistischen Eltern von Tiermetzgern kastriert, hat sich gezeigt, dass es das öffentliche Interesse an einer Strafverfolgung offenbar nicht gibt.
Das Problem, das das Urteil geschaffen hat, bleibt dennoch. Nicht nur, weil jeder gläubige Muslim, jeder gläubige Jude in vielen Äußerungen zum Thema in Internetforen, Leserbriefspalten und aus Expertenmündern einen unangenehmen Unterton hören musste, der von allgemeiner Religionsfeindlichkeit bis hin zu sehr speziellem Fremdenhass reichte. Das Urteil verursacht bei Eltern und Ärzten darüber hinaus ein Gefühl der strafrechtlichen Unsicherheit. Was ist, wenn morgen doch eine Anzeige in die Praxis flattert?
rechtssicherheit Insofern ist es durchaus richtig, wenn die Berliner Justizverwaltung möglichst umgehend für Rechtssicherheit sorgen will – in keinem anderen Bundesland dürfte der Anteil der Betroffenen an der Bevölkerung so groß sein. Allerdings kann diese Initiative dazu führen, dass nun jedes Land seinen eigenen Weg geht, dass noch mehr Juristen, noch mehr Experten ihre Haltung zu Papier bringen, dass zumindest im Detail sich widersprechende Gutachten geschrieben werden, die sich dann doch nicht so leicht wieder außer Kraft setzen lassen, wie anfangs vermutet.
Besser wäre es, wenn der Bundestag eine einheitliche Regelung eindeutig und schnell verabschieden würde. Die parlamentarische Sommerpause ist ja bald beendet. Und auf ein paar Tage mehr oder weniger mit null Anzeigen kommt es nun auch nicht mehr an.
Der Autor ist Chef vom Dienst beim »Kölner Stadt-Anzeiger«.