Nach vierjähriger Arbeit hat die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission am Dienstagabend im Auswärtigen Amt in Berlin ihre Empfehlungen vorgestellt. Deutsche Schulbücher sollten künftig »ein breites, facettenreiches Bild der Geschichte Israels zeichnen«, fordern die deutschen und israelischen Wissenschaftler, Fachdidaktiker und Pädagogen, die ihre Arbeit ehrenamtlich getan haben.
Ausgewertet wurden, unter fachlicher Beratung des Historikers Dan Diner, 400 Geschichts-, Geografie- und Sozialkundebücher aus fünf Bundesländern – Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen –, die im Jahr 2011 in Umlauf waren. Die Kommission konzentrierte sich dabei auf 94 Texte, in denen es um Israel geht, sowie auf 25 Kapitel aus Geschichtsbüchern, die sich der Darstellung der Schoa widmen. Zudem wurden 44 israelische Schulbücher analysiert.
Eindruck In ihrem Grußwort im Europasaal des Auswärtigen Amtes sagte Maria Böhmer, Staatsministerin für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, es sei »wichtig, dass junge Leute ein zeitgemäßes Bild voneinander haben«. Diesbezüglich stünden die Schulen in besonderer Verantwortung, ein ebensolches Bild zu vermitteln. Israels Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, fügte hinzu: »Schulbücher sind für viele Jugendliche der erste Kontakt mit Israel. Wie man so schön sagt: Der erste Eindruck zählt.«
Der Historiker Alfons Kenkmann von der Universität Leipzig bescheinigte deutschen Geschichtsbüchern eine »Reduktion der Komplexität«, wenn es um Israel gehe. Der Fokus liege allein auf dem Nahostkonflikt, Israel erscheine als »kriegführender Krisenstaat«. Israelische Innenpolitik komme kaum vor, ebenso wenig die Geschichte des Jischuw und der Staatsgründung. Eine weitere auffallende Leerstelle seien die deutsch-israelischen Beziehungen. Die Schüler erführen kaum etwas über das Luxemburger Abkommen und die Wiedergutmachung. Eine Ausnahme sei Bayern, wo israelische Geschichte Teil des Curriculums für die Sekundarstufe II ist.
sachlich Im Gegensatz dazu werde Deutschland in israelischen Geschichtsbüchern sehr differenziert dargestellt, so Orna Katz-Atar, Fachinspektorin Geschichte im israelischen Erziehungsministerium. Sämtliche Epochen der deutschen Geschichte kämen vor, nicht etwa nur das Dritte Reich und der Holocaust. Und selbst bei diesem Thema sei die Darstellung sehr sachlich. Ihr Kritikpunkt: Die deutsche Geschichte ende im israelischen Schulunterricht im Jahr 1945; das liege aber nicht an den Schulbüchern, sondern am landesweiten Lehrplan.
Ähnliche Befunde gibt es im Bereich Geografie. Wird Deutschland israelischen Schülern als wirtschaftlich führendes, innovatives Land dargestellt, das in den Bereichen Umweltschutz und Multikulturalität Maßstäbe setzt, wie Dalia Fenig vom israelischen Erziehungsministerium darlegte, wird Israel meist im Zusammenhang mit Konflikten um Wasser im Nahen Osten erwähnt, so Ute Wardenga, Stellvertretende Direktorin des Leibniz-Instituts für Länderkunde. In einem positiven Zusammenhang taucht Israel auf, wenn es um innovative Bewässerungstechnologie geht, etwa bei der Urbarmachung des Negev. Karten der Region seien hingegen oft falsch oder irreführend beschriftet; so werde etwa der Golan in einem Schulbuch als Teil der Palästinensergebiete ausgewiesen.
Beispiel Im Fach Sozialkunde falle auf, dass Deutschland in israelischen Schulbüchern nahezu gar kein Thema sei, so die israelische Fachinspektorin für diesen Bereich, Yael Guron. Ihr deutscher Kollege Wolfgang Sander von der Universität Gießen bestätigte den Befund aus den anderen Fachbereichen: Israel sei fast synonym mit dem Nahostkonflikt, allenfalls werde der jüdische Staat als Beispiel für internationale Konflikte herangezogen, ohne auf die Besonderheiten dieses spezifischen Konflikts einzugehen.
Die Kommission empfiehlt, dass sich der Schulunterricht zum Thema Israel nicht nur auf aktuelle Medienberichte stützen, sondern ein vielfältiges Bild Israels zeichnen sollte, das auch die Vor- und Entstehungsgeschichte des Staates umfasst. Die Geschichte deutsch-israelischer Beziehungen sollte stärker behandelt sowie bei der Quellenzusammenstellung auf Ausgewogenheit geachtet werden.
Die zahlreichen Aspekte des Landes jenseits des Konflikts müssten zur Sprache kommen: kulturelle, religiöse, demografische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte, die Vielfalt der israelischen Wirtschaft – neben der Landwirtschaft eben auch der Hightech-Sektor –, die Bedeutung des Landes für die drei abrahamitischen Religionen sowie Israels Erfahrungen mit der Eingliederung von Einwanderern. Die Vielfalt der politischen Meinungen und die Lebendigkeit der öffentlichen Debatte sollten ebenfalls ein Thema sein.
Für israelische Schulbücher wird empfohlen, mehr Gewicht auf die deutsche Nachkriegsgeschichte sowie auf die deutsch-israelischen Beziehungen zu legen und die Rolle Deutschlands bei der europäischen Einigung oder der Aufnahme von Zuwanderern stärker zu betonen.
Die Analyse und die Empfehlungen der deutsch-israelischen Schulbuchkommission sind online abrufbar unter der Web-Adresse des Georg-Eckert-Instituts: www.gei.de.