Die Welt kann aufatmen und – ja, auch das – sich freuen, zumindest für einen Moment. Osama bin Laden ist tot, gestorben im Kugelhagel amerikanischer Elitesoldaten. Fast zehn Jahre nach den Anschlägen von New York und Washington ist dem Leben des meistgesuchten Mannes unseres Planeten in Pakistan mit Gewalt ein Ende bereitet worden – ein gleichermaßen vorhersehbares und verdientes. Auch, wenn es ein Sieg des Rechtsstaates und damit der westlichen Wertegemeinschaft gewesen wäre, hätte sich der Terrorpate vor einem weltlichen Gericht verantworten müssen. Statt Elektrischem Stuhl nun gezielte Kopfschüsse.
Gerechtigkeit Glückwunsch, eine angemessene Strafe, denkt man, ohne sich dafür zu schämen. Denn das Blut Tausender Opfer klebte an bin Ladens Händen. Es besteht also für vernunftbegabte Menschen überhaupt kein Grund, dem Terrorpaten, dem Gründer und Spiritus Rector von Al Qaida eine Träne nachzuweinen. Viele Jahre hielt der Islamist die Welt mit den von ihm zunächst befohlenen und finanzierten, später meist nur noch gutgeheißenen Anschlägen in Atem. Osama bin Laden – das war die Chiffre für die mörderische Verbindung von Koran und Kalaschnikow, für den »Heiligen Krieg« im Namen Allahs, für das Blutvergießen von unschuldigen Menschen, vor allem – das wird gerne vergessen – von Muslimen. Dass dieser Mörder jetzt zur Strecke gebracht wurde, ist ein kleiner Triumph für den gerne als Weichei gescholtenen Barack Obama, das durch den 11. September 2001 in seinen Grundfesten erschütterte Amerika und den großen Rest der freien Welt. Wie formulierte es der US-Präsident so treffend? Der Gerechtigkeit ist Genüge getan.
Das klingt nach Erleichterung und Befriedigung. Zu Recht. Aber im Überschwang der Gefühle sollte sich keiner dazu verleiten lassen, jetzt den Beginn einer neuen, einer besseren, weil friedlicheren Welt zu erwarten. Das wäre gefährlich, ja sträflich naiv. Der islamistische Terror ist mit Osama bin Ladens Ableben nicht von der Erde verschwunden. Das Gegenteil ist der Fall. Längst führen Al Qaida und deren diverse Ableger ein Eigenleben. Längst sind die Attentäter in kleinen autarken Einheiten organisiert, die selbst entscheiden, wann und wo sie zuschlagen. Und längst radikalisieren sich viele Fanatiker in Amerikas und Europas Großstädten, also zu Hause. Auch in Deutschland. Das haben die jüngsten Festnahmen dreier Bombenbastler in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Und wie man Sprengsätze baut, ist ohne Probleme im Internet nachzulesen. Dafür braucht es keine Ausbildungslager mehr in Afghanistan oder Pakistan.
Märtyrer Womöglich wird Osama bin Laden als Untoter noch viel gefährlicher als der Saudi es, ständig auf der Flucht, de facto in den vergangenen Jahren war. Sein Tod geht einher mit der Geburt einer Märtyrerlegende. Ein Terrorfürst aus dem Jenseits, ein mystisch verklärter Kämpfer gegen den überheblichen, schwachen Westen, eine ideologisch unangreifbare Leitfigur - das könnte sich schon sehr bald als wirklich bedrohlich erweisen. Denn einem solchen Phänomen, dieser tödlichen Geisteshaltung, ist mit Kugeln und Raketen nicht beizukommen. Ein Terrormonstrum ist tot, doch viele andere Monstren dieser Art sind quicklebendig.
War also alles vergeblich? War es gar kontraproduktiv, einen wie Osama bin Laden endgültig auszuschalten? Keineswegs! Die USA haben deutlich gemacht, dass sie gewillt sind, gegebenenfalls viel Zeit und Geld zu investieren, um Terroristen und ihre Helfershelfer aufzuspüren und zur Rechenschaft zu ziehen. Die Botschaft lautet: Niemand kann sich und seiner Sache sicher sein. Eine klare Botschaft. Vielleicht vernehmen sie auch die vielen Gaddafis, die Mörder von Hisbollah und Hamas. Sie wären gut beraten.